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Keine große Affäre

Keine große Affäre

Titel: Keine große Affäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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glaube, er wacht auf, du nicht?«
sagte Ginger fröhlich und versuchte, das überwältigende Gefühl zu unterdrücken,
das sich in ihr breit machte, daß es nicht so war.
    »Ich weiß nicht«, sagte Pic. »Er sieht
schrecklich alt und grau aus, wie er da so liegt, findest du nicht?«
    Ginger rührte in ihrem Tee. »Hat ein
großer, gutaussehender Arzt Dienst?« fragte sie plötzlich.
    Pic sah entsetzt aus.
    »Nein, ich meine nicht... Ehrlich, bin
ich denn so schlimm? Nein, mir ist nur gerade eingefallen, daß ich einen der
Ärzte kenne, die in der Herzabteilung arbeiten. Er ist mit einer Frau aus dem
Schwangerschaftskurs verheiratet... Er ist kahl«, fügte sie hinzu.
    »Oh, ich weiß, wen du meinst.« Pic
lächelte, als sie sich plötzlich an Stephen erinnerte. »Er sieht seltsam aus,
aber ziemlich schön. Violette Augen, wahnsinnig lange, schwarze Wimpern,
lächelt nicht oft, aber wenn er es tut — wow!«
    »Ja, ich glaube, wir sprechen über
denselben«, sagte Ginger und brach in Gelächter aus. Pic konnte so prüde sein,
aber mit ihrer detaillierten Beschreibung eines begehrenswerten Mannes hatte
sie sich gerade selbst verraten.
    »Nein, den habe ich nicht gesehen«,
sagte Pic brüsk.
    »Laß uns zurück zu Mummy gehen«, sagte
Ginger und ließ ihren Tee stehen.
    Als sie ins Zimmer kamen und ihre
Mutter mit schriller Stimme sprechen hörten, dachten sie, er sei aufgewacht,
aber das war er nicht. Sie gingen zu ihr und stellten sich neben sie, jede auf
einer Seite.
    »Eine von den Schwestern hat gesagt,
es hilft vielleicht, wenn ich mit ihm rede«, sagte sie zu ihnen. »Aber ich
wußte nicht, was ich sagen sollte. Also habe ich ihm vom Garten erzählt, was
wahrscheinlich sehr dumm ist, weil er dafür nie auch nur das geringste
Interesse aufgebracht hat...« Sie wandte sich Pic zu, und ihre Lippe zitterte
unkontrolliert.
    Ginger sah weg, weil sie wußte, daß es
ihrer Mutter später peinlich sein würde. Sie stammte aus der Klasse, die es
unhöflich fand, Gefühle zu zeigen, besonders vor den Kindern. Sie konnte sich
nur an ein einziges Mal erinnern, daß sie geweint hatte, und das war, als einer
der Hunde von einem Mähdrescher überfahren wurde. Ginger ging auf, daß sie
dadurch all die Jahre dem Irrtum aufgesessen war, sie würde nicht besonders
viel für Daddy empfinden. Sie war eine gute Tory-Ehefrau, für die Loyalität
über alles ging. Loyal zu sein bedeutete, sich mit seinen Launen abzufinden,
ihn in seiner Wichtigtuerei zu unterstützen und für das Photo nach seiner
Wahlkampfrede nett zu lächeln. Als Gegenleistung ließ er sie während der Woche
in Frieden. Sie konnte mit ihren Spaniels im Garten herumwerkeln, so viel sie
wollte, ihre Freundinnen zum Lunch einladen oder ab und zu nach London fahren,
um in einer der kleinen Galerien an der Bond Street, die mit biederen
Blumenvasengemälden handelten, an einer Vorabbesichtigung teilzunehmen. Sie
liebt ihn, dachte Ginger erschrocken.
    Immer wenn sie ihren Vater ansah,
rechnete sie damit, daß er ein Auge öffnen und »Buh!« rufen würde, wie er es
früher manchmal im Sommer gemacht hatte, wenn sie ihn auf dem Krocketrasen
herumgejagt hatten, bis er so tat, als würde er vor Erschöpfung tot umfallen.
    Sie schlenderte hinaus in den belebten
Korridor und wußte nicht so recht, was sie tun sollte. Wie lange sollte sie
warten? Was würde passieren? Das Krankenhaus war wie eine andere Welt mit
eigenen Regeln. Es war schwierig, sich vorzustellen, daß sich draußen der
Verkehr bewegte, Leute mit der U-Bahn irgendwohin fuhren, und das Leben einfach
weiterging.
    Es kam ihr vor, als würde hier drin
für sie alle das Leben stillstehen, während sie warteten, daß er aufwachte oder
starb. Sie wußte nicht, mit welcher Möglichkeit von beiden sie rechnen sollte.
    Außerhalb der Schlaganfallstation, bei
den Fahrstühlen, entdeckte sie ein öffentliches Telephon und rief Lia an, die
sehr besorgt klang. Sie hatte gerade Anouskas Windeln gewechselt und war nicht
sicher, ob sie Ausschlag hatte oder nur so rosa war, weil sie so hohes Fieber
hatte.
    »Warum läßt du den Arzt nicht noch mal
kommen?« schlug Ginger vor.
    »Es ist Karfreitag...«, sagte Lia.
    »Mach dir darüber keine Sorgen«, sagte
Ginger und fragte sich, wie es den Ärzten gelungen war, sich zu solchen
Respektspersonen hochzustilisieren. Sie waren schließlich Arbeitnehmer im
öffentlichen Dienst, nicht die selbstlosen Wohltäter, als die sie sich manchmal
hinstellten. »Du bezahlst ihn schließlich,

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