Keine große Affäre
ein
Pubbesuch mit Lia und Leuten aus dem Club. Toll, wenn es noch Braten gab, aber
mit Brot und Käse wäre er genauso zufrieden gewesen. Er bezweifelte, ob er ein
Zitronengräserfeld identifizieren könnte, wenn er an einem vorbeifuhr, ganz zu
schweigen von einem Hauch Safran- oder Kümmelgeruch, den sie aus zwanzig
Schritten Entfernung wahrnehmen konnte und dann darüber ins Schwärmen geriet.
In London, isoliert in ihrer Wohnung
in Islington, hatte sie es amüsant gefunden, wenn er sie fragte, worüber sie
überhaupt sprach. Draußen in der wahren Welt war das kein Witz. Es war ihr
wichtig. Er hatte ihr sagen wollen, daß er wirklich keine Lust hatte, mit einem
Haufen Schwuchteln zu brunchen, die ihr Leben damit verbrachten, für die
reichsten Frauen der Welt Kleider zu entwerfen, die kein Mensch tragen konnte,
aber es hätte nur defensiv geklungen.
Aber es war nicht nur das, dachte er.
Das war nur das Symptom ihres Problems. Sie waren im selben Ort aufgewachsen,
aber jetzt lebten sie in verschiedenen Welten. Vielleicht hatten sie das immer
getan.
Er ließ die Zeitung sinken und starrte
auf die Arkade mit Antiquitätenläden vor sich. Er sah nicht richtig hin,
sondern dachte nach. Er erinnerte sich daran, wie sie als Teenager ungehalten
gezischt hatte, als er ihr erzählt hatte, daß es seine Ambition war, für
England Kricket zu spielen. Sie hatte gewollt, daß er auf eine »richtige«
Universität ging anstatt an ein Sportcollege, erinnerte er sich jetzt. Und wenn
sie sich ihre gemeinsame Zukunft vorstellten, hatte sie immer von Geld und
schönen Kleidern geträumt und von einem dieser großartigen, riesigen weißen
Häuser mit stuckverzierter Vorderfront in Kensing-ton, wohin sie ihn einmal auf
einem ihrer gemeinsamen Tagesausflüge nach London mitgenommen hatte.
All das hatte sie jetzt oder etwas
Entsprechendes. Sie hatte es zu etwas gebracht, und er war stolz auf sie, aber
sie würde das nicht für ihn aufgeben. Warum sollte sie auch? Das würde er nicht
einmal wollen. Auch ihm gefiel das Leben, das er hatte. Zum ersten Mal seit
Monaten wurde ihm das bewußt. Er würde es auch nicht für sie aufgeben.
Monets Lilien. Er lächelte. Ihm hatte
das Bild immer gefallen, das an der Schlafzimmerwand gegenüber dem Bett hing,
aber nach seiner Rückkehr würde er irgendeinen Vorwand finden müssen, es
abzunehmen. Oder vielleicht konnte er es dort hängen lassen, als eine Art
Trophäe, die ihn immer an seinen Fehler und seine zweite Chance erinnern würde.
Er würde Lia dafür entschädigen,
versprach er sich selbst, als ihm plötzlich ein heftiges Schuldgefühl einen
Schlag in die Magengrube versetzte. Zusammengekrümmt starrte er auf den Kies
unter seinen Füßen. Er sah nur ihr Gesicht, ihr weiches kleines, gütiges,
traumhaft schönes Gesicht, schmerzverzogen die Augen vor Angst weit
aufgerissen.
Er hatte sie auf die schlimmste Art
betrogen, die es gab, denn fast vom ersten Moment an, als er Alison erblickte,
hatte sie gewußt, daß mit ihm etwas nicht stimmte. Und trotzdem hatte sie nicht
danach gefragt, denn wie alle guten Menschen hatte sie angenommen, daß sie
etwas falsch gemacht hatte. Und er hatte ihre Unsicherheit auch noch
ausgenutzt, sie sogar noch verstärkt, weil sie ihm gelegen kam. Sie hatte sein
Kind geboren, und er hatte sie im Stich gelassen. Gerade in dem Moment, als sie
auf seine Stärke vertraut hatte, war er schwach gewesen. Er hatte sie
angelogen, und er hatte sich selbst belogen, sich vorgemacht, mitgerissen zu
werden von einer Macht, die stärker war als er. Dabei war alles nur eine
lächerliche Phantasievorstellung gewesen.
Jetzt war es vorbei. Er konnte nicht
für immer mit Alison zusammen sein. Er wollte nicht einmal eine weitere Nacht
mit ihr verbringen. Er wollte nach Hause, sofort, den ersten Zug nehmen oder
den ersten Flug oder trampen. Doch seine eigenen Lügen hatten ihn nach Paris
verschlagen, und jetzt saß er fest. Er mußte warten. Wenn er jetzt nach Hause
fuhr, würde er nur noch mehr Lügen erfinden müssen, um seine frühe Rückkehr zu
erklären, oder Lia die Wahrheit sagen.
Das hatte sie nicht verdient.
»Hallo!« sagte Ginger zu Stephen, als
er an dem Zimmer vorbeiging, in dem ihr Vater lag.
Verblüfft sah er sie an. Sein
Gesichtsausdruck sagte, daß er sie kannte, aber nicht wußte, woher.
»Ich bin Ginger«, half sie ihm. »Ich
bin eine Freundin Ihrer Frau. Ich habe einen kleinen Jungen, der so alt ist wie
Ben.«
»Ginger, natürlich, die Mutter von
Guy...
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