Keine große Affäre
sie und versuchte, einen Scherz zu machen.
»Irgendsowas«, sagte er grimmig.
»Aber es war nicht nur Paris, oder?«
fragte Lia ihn. »Das ging schon viel länger.«
»Ja«, gab er zu.
»Aber jetzt nicht mehr?«
»Nein. Jetzt nicht mehr. In Paris war
es zu Ende. Noch bevor ich davon erfahren habe...« Er zeigte auf ihr
schlafendes Baby.
»Ja, das dachte ich mir«, sagte Lia
und blickte zum Himmel. Zu dieser Abendzeit war das Licht immer am besten, in
den Augenblicken kurz nach Sonnenuntergang, bevor die Dunkelheit einsetzte und
die Grillen zu singen begannen.
Ihr Essen wurde serviert. Es war kalt.
Lia nahm an, daß der Kellner nicht in ihr Gespräch hatte platzen wollen. Der
Fisch schmeckte trotzdem frisch und zart. Sie fühlte sich seltsam benommen, ob
es nun vom Wein, vom Weinen oder von sonst irgendwas war.
»Wenn du dich fragst, was ich
empfinde: Ich fühle mich sogar erleichtert«, sagte sie schließlich. »Du hast
mir gerade bestätigt, was ich die ganze Zeit gedacht habe. Ich wußte, daß da
was lief, ich wußte es die ganze Zeit. Ich wußte nicht, mit wem, oder warum,
oder wo, aber ich wußte es. Das Seltsame daran ist, daß es mir gar nicht soviel
ausmacht, daß du eine andere gefickt hast. Aber daß du mich angelogen hast,
dafür hasse ich dich. Das ist das Schlimmste, was man jemandem antun kann. Du
hast es geschafft, mir das Gefühl zu vermitteln, paranoid zu werden, oder daß
irgend etwas mit meinen Hormonen nicht stimmt, oder daß ich einfach nur blöd
bin. Aber ich hatte überhaupt kein Problem... Abgesehen von dir.«
Während sie so mit ihm sprach,
bemerkte er, daß er sie mehr bewunderte als je zuvor. Sie war so stark, mutig
und ehrlich. Als er sie kennenlernte, hatte ihn nicht nur ihre Schönheit
angezogen, sondern genau diese geistige Unabhängigkeit und Selbständigkeit. Sie
war so viel jünger als er, und trotzdem schien sie über die Welt Bescheid zu
wissen, und welchen Platz sie darin einnahm, und das hatte ihm ein Gefühl von
Sicherheit gegeben, wenn er mit ihr zusammen war.
Im letzten Jahr war die Aura der
Integrität, die sie umgab, verblaßt, und sie war abhängiger geworden, immer
darauf bedacht, ihn zufriedenzustellen. Der Stahldraht, der ihren Körper und
ihre Seele zusammenzuhalten schien, war durch Wolle ersetzt worden, und er
hatte angefangen, sie zu verachten, wenn sie Schwäche zeigte. Und jetzt sagte
sie ihm ruhig und besonnen, daß er selbst für diese Veränderung verantwortlich
war und daß er sie auch noch gefördert hatte, weil es ihm eine zusätzliche
Entschuldigung dafür lieferte, ihr Vertrauen zu mißbrauchen. Ihm wurde klar,
daß es stimmte, was sie sagte. Wenn man ein paarmal gelogen hatte und damit
durchgekommen war, konnte man sich ganz leicht einreden, daß der andere einfach
blöd war, es zu glauben. Das Heimtückische daran war, daß man den Respekt für
den anderen verlor.
»Ich liebe dich«, sagte er
leidenschaftlich. »Ich weiß, ich verdiene es nicht, aber ich will mit dir und
unserer Tochter zusammensein. Mehr als alles andere in der Welt. Ich würde
alles tun, damit du mir vergibst...«
Kühl sah sie ihn an. »Vielleicht kann
ich dir vergeben, aber ich weiß nicht, ob ich dir je wieder trauen kann — und
es bringt überhaupt nichts, wenn du mir sagst, daß ich das kann«, sagte sie,
als er den Mund aufmachte. »So funktioniert das nämlich nicht. Ich dachte, ich
wüßte alles über dich, was ich wissen muß, und jetzt stellt sich heraus, daß es
nicht so ist. Das ist ein Schock. Ich habe keine Ahnung, was jetzt passiert.«
»Heirate mich«, bat er sie.
»Du meine Güte, Neil«, sagte sie
ungehalten. »Wir sind hier nicht in einem Film. Wir können uns nicht einfach
küssen, unter einem Blumenbaldachin Versöhnung feiern und glücklich
zusammenleben, bis daß der Tod uns scheidet.«
»Ich weiß, ich weiß.« Geschlagen hob
er die Hände. Wer hatte bloß das Gerücht in die Welt gesetzt, daß Frauen romantischer
waren als Männer?
»Anouska hat Vorrang. Wir bleiben erst
mal zusammen, ihr zuliebe, weil sie uns beide braucht«, sagte Lia zu ihm. »Und
danach sehen wir weiter. Ich habe nicht vor, dich die ganze Zeit dafür zu bestrafen«,
fügte sie hinzu, als sie sein bestürztes Gesicht sah. »Wir versuchen einfach,
so weiterzumachen wie bisher. Etwas anderes kann ich dir im Moment nicht
versprechen... Reicht dir das?«
»Nein«, sagte er und lächelte sie an.
Er bewunderte ihre Ehrlichkeit. Sie war ganz klar nicht zu Verhandlungen
bereit.
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