Keine große Affäre
alles gemeinsam, was
von Wichtigkeit war. Es war seltsam beruhigend zu wissen, daß noch jemand
anders ganz blauäugig angenommen hatte, der Körper würde nach der Geburt sofort
wieder seine normale Form annehmen.
Die Champagnerblasen prickelten im
Mund und vertrieben den Krankenhausgeschmack. Sie nahm noch einen Schluck und
spürte den Alkohol wie ein warmes Narkosemittel durch die Adern fließen. Sie
wollte eine Zigarette oder noch viel mehr Alkohol oder beides. Sie streckte Ginger
ihren Pappbecher hin, um sich nachfüllen zu lassen, und fühlte sich seltsam
unbefangen. Es war schön, die anderen Frauen am Fußende sitzen zu haben. Es
erinnerte sie an Betty und ihre Schwestern, ihr Lieblingsbuch, als sie
zehn war. Wenn sie es zu Hause in ihrem Zimmer las, hatte sie sich nach
Geschwistern gesehnt, die an ihrem Bett saßen, wenn sie krank war, die mit ihr
reden und ihr selbstgebastelte Sachen schenken würden. Aber sie war gar nicht
krank, erinnerte sie sich jetzt selbst. Sie hatte nur ein Baby bekommen.
»Wer hätte gedacht, daß etwas, das so
schön anfängt, mit solchen Schmerzen endet...« Der Champagner machte Ginger
gesprächig, und sie beglückte sie — lautstark — mit der Geschichte über ihren
Entschluß, alleinerziehende Mutter zu werden.
Sie war aus Versehen schwanger
geworden. Ein Durex war geplatzt, aber sie war nicht allzu beunruhigt gewesen,
weil ihre Periode wahnsinnig unregelmäßig war und sie sich nicht einmal für
fruchtbar gehalten hatte. Erst drei Monate später hatte sie es bemerkt, als sie
immer mehr zunahm. Sie erzählte ihnen, wie sie sich für eine Abtreibung
angemeldet hatte, es sich aber anders überlegte, als sie im Wartezimmer der
Klinik die Klatschzeitschrift Hello! las. Darin war eine Doppelseite mit
Photos vom neuesten Nachwuchs eines Ex-Models. Selbst die Agnes B.-Anziehsachen
und das Kinderzimmer in paradiesischen Pastelltönen konnten die Tatsache nicht
verbergen, daß es ein unglaublich häßliches Baby war. Zum ersten Mal hatte
Ginger sich dabei ertappt, wie sie sich das Aussehen ihres eigenen Babys
vorstellte. Sie dachte an das lockige, schwarze Haar des Vaters und an sein
freches Lächeln. Er war der unbestrittene Star ihres Jahrgangs in Oxford
gewesen, und sie war schon seit der ersten Vorlesung in ihn verschossen
gewesen. Aber sie hatte immer geglaubt, daß sie niemals an ihn herankommen
würde. Sie stellte sich vor, wie schön ihr gemeinsames Kind sein würde.
»Also«, schloß sie, »habe ich die
Zeitschrift weggelegt und bin raus aus der Klinik. Wie viele Menschen können
schon behaupten, daß das Hello !-Magazin ihr Schicksal nachhaltig
beeinflußt hat?« fragte sie lachend mit leuchtenden Augen. »Na ja, mich wollte
ja sowieso keiner mehr.«
»Wie kannst du das sagen, in deinem
Alter?« fragte Lia, die mit ihr lachte.
»Doch, so war es, glaub mir«, sagte
Ginger. »Ich bin zwar erst siebenundzwanzig, aber ich hatte genug Männer, um zu
wissen, daß sie es nie sehr lange mit mir aushalten. Sie denken, ich bin was
für ein oder zwei Nächte, aber dann, wenn ich menschliche Regungen zeige,
berufen sie sich auf ihr Umtauschrecht.« Sie nahm eine tiefe Stimme an und
hielt abwehrend die Hände hoch: »Hey, ich dachte, wir könnten ein bißchen Spaß
haben, und jetzt fragst du mich, ob ich nächste Woche Zeit habe. Ich laß mich
nicht gern unter Druck setzen...«
Alison lachte laut. Sie genoß die
Darbietung sehr, aber ihr entging auch nicht der Wunsch nach Anerkennung, der
sich dahinter verbarg. Sie vermutete, daß Ginger einen Großteil ihres Lebens
damit verbracht hatte, sich zu rechtfertigen. Es war keine große Überraschung
für sie, als Ginger schließlich den hitzigen Streit mit ihrem Vater beschrieb,
nachdem sie ihn von ihrer Schwangerschaft in Kenntnis gesetzt hatte.
»Weiß er denn überhaupt, daß das Baby
inzwischen da ist?« unterbrach Lia sie.
»Daddy? Ja, aber er erholt sich gerade
von einer Herzoperation, deshalb kann er nicht ins Krankenhaus kommen.
Jedenfalls ist das seine Entschuldigung...«
»Ich meine den Vater des Babys«, sagte
Lia.
»Um Gottes willen!« Ginger sah sie an,
als wäre sie verrückt. »Der weiß nicht mal, daß ich schwanger war. Ich wollte
verhindern, daß er versucht, mich umzustimmen.«
»Vielleicht hätte er das gar nicht«,
bemerkte Lia.
Alison hörte nicht mehr zu. Das
Gespräch wurde ihr etwas zu intim. Sie beobachtete die beiden Frauen am Fußende
bei ihrer angeregten Unterhaltung. Sie waren beide so viel jünger
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