Keine große Affäre
Ginger,
die vor ein paar Minuten noch vergnügt und unnötig detailliert ihren Dammriß
beschrieben hatte, sah plötzlich verlegen aus und schien nach Worten zu suchen.
Alison und Lia wechselten einen Blick,
dann schauten sie Ginger mit hochgezogenen Augenbrauen an und warteten auf eine
Antwort.
»Nein, na ja, wenn ihr es unbedingt
wissen wollt, mein Vater ist Sir James Prospect, aber nehmt mir das bitte nicht
übel«, bat sie und sah aufrichtig besorgt aus.
»Du meine Güte, wir suchen uns alle
unsere Eltern nicht aus«, beruhigte Alison sie. »Ich hätte mir meine auf keinen
Fall ausgesucht.«
»Ich auch nicht«, stimmte Lia zu.
Ginger gab einen lauten Seufzer der
Erleichterung von sich, Wodurch ihr Baby aufwachte und zu schreien anfing.
»Armes kleines Kerlchen«, sagte sie
und nahm ihr brüllendes Kind hoch. »Du hättest mich auch nicht ausgesucht,
oder?« Dann schaute sie zu den beiden anderen Frauen und sagte, als ob ihr der
Gedanke gerade erst gekommen wäre: »Vielleicht habe ich ihn Guy genannt, weil
ich mir im Unterbewußtsein wünsche, daß er das Parlament in die Luft jagt...«
Die beiden lachten, und dann wachten
auch die beiden anderen Babys auf und weinten, und urplötzlich hallte der Raum,
der eine stille Zuflucht mit Champagner und Frauengesprächen gewesen war, von
dem Lärm untröstlicher Säuglinge wider.
Eine Hebamme kam herein und scheuchte
Lia und Ginger ins Bett. Es war zwar erst zehn Uhr, aber das war schon eine
Stunde später, als auf dieser Station normalerweise das Licht gelöscht wurde.
Sie reichte Alison ihr Baby, schraubte einen Gummisauger auf eine Flasche mit
Säuglingsnahrung und schüttete sich die Flüssigkeit aufs Handgelenk, um die
Temperatur zu testen.
Das Baby trank gierig. Alison wickelte
es wieder ein und legte es in den Plexiglasbehälter. Dann fiel ihr ein, daß sie
es dazu bringen mußte, ein Bäuerchen zu machen. Sie beugte sich vor, wobei ihre
Naht spannte, nahm es wieder heraus und legte es an die Schulter. Sie
tätschelte ihm behutsam den Rücken und wünschte, sie könnte irgendeine
Verbindung zu dem Kind spüren, wie Lia und Ginger es offensichtlich mit ihren
taten. Sie versuchte, zärtlich mit ihm zu sprechen, aber die Worte, die bei den
anderen wie von selbst kamen, klangen bei ihr falsch und dumm.
Sie lag wach und versuchte, die
Babyschreie auf der Station zu ignorieren. Sie dachte an die ersten paar Wochen
mit Stephen. Am Anfang lag die starke Anziehung, die sie für ihn empfunden
hatte, nicht nur in dem körperlichen Hochgefühl begründet, das seine Gegenwart
bei ihr auslöste, sondern auch in ihrem Interesse an seiner Arbeit. Es war
stimulierend, sich mit jemandem zu unterhalten, dessen Ausbildung so völlig
anders war als ihre, mit jemandem, der in einer Sprache zu ihr sprach, die sie
kaum als ihre eigene wiedererkannte. Sie hatte es auch genossen, wie verblüfft
er die ungemein oberflächlichen Probleme ihrer Welt aufgenommen hatte. Warum
waren Schalotten unter allen Umständen Zwiebeln vorzuziehen, wollte er wissen.
Und konnten die Leute wirklich sicher sein, daß ihr Olivenöl kalt gepreßt war?
Für ihn bedeutete Mittagessen, auf dem Weg vom OP zur Station in Windeseile ein
Käsesandwich herunterzuschlingen. Wenn er Glück hatte. Für sie dagegen war es
ein Stück Lebensqualität.
Bei ihren ersten Verabredungen hatten
sie sich abwechselnd Dinge beigebracht. Sie klärte ihn über Essen und
Medienklatsch auf, er nahm sie mit zu Konzerten und sprach danach mit ihr über
die Musik. Er erklärte ihr in präzisen Worten Fachbegriffe wie Struktur und
Harmonie. Ihr war aufgefallen, daß er nie das Verb »fühlen« benutzte. In ihrer
Welt fühlten die Leute. In seiner dachten sie logisch. Aber als sie zum ersten
Mal miteinander ins Bett gingen, in seiner farblosen Wohnung im Barbican,
stellte sie fest, daß er ein außergewöhnlich begnadeter Liebhaber war, der
sofort spürte, was sie brauchte, und sie zu Höhepunkten trieb, die sich in
völlig anderen Sphären bewegten als alles, was sie zuvor erlebt hatte.
Das war endlich Sex zwischen
erwachsenen Menschen, hatte sie gedacht, als sie sich zurücklegte und seine
Finger beobachtete, die mit ihrem Körper spielten wie auf einem Instrument.
Sie war in den letzten Wochen nicht
fair zu Stephen gewesen, erkannte sie. Sie hatte sich verändert, nicht er.
Wegen seiner kühlen und rationalen Einstellung hatte sie sich schließlich in
ihn verliebt. Wenn er sie bei der ganzen Sache mit der Empfängnis nicht
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