Keine große Affäre
als sie, aber
sie hatten die festen moralischen Überzeugungen von Leuten zwischen zwanzig und
dreißig. Erst wenn man älter wurde, schien einem aufzugehen, daß nichts
wirklich sicher war.
»Oh, doch. Er hat eine Freundin«,
erklärte Ginger. »Außerdem, welcher Mann würde schon gern von einem Baby
erfahren, das eine Panne war?«
»Aber welcher Mann würde nicht gern
wissen, daß er Vater wird?« fragte Lia.
»Praktisch alle, die ich kenne, außer
Robert, der sehr überrascht wäre, weil er schwul ist... Du scheinst ein paar
sehr nette Männer zu kennen«, sagte Ginger zu Lia. »Na ja, allein schon deiner
sieht schweinegut aus.«
Ein stolzes Lächeln flog über Lias
Gesicht.
»Hast du schon Lias Supertyp
kennengelernt?«
Die Frage stand ein paar Sekunden lang
im Raum, bis Alison merkte, daß sie gemeint war. »Ja«, sagte sie, spürte, wie
sie rot wurde, und versuchte, natürlich zu klingen. »Ja.«
»Er ist wahnsinnig toll, oder?« Ginger
ließ nicht locker.
»Ja, ich denke schon«, sagte Alison
und sah aus dem Fenster.
Es war jetzt stockdunkel. Alles, was
sie sehen konnte, war ihr eigenes Spiegelbild, das sie anstarrte. Daß Ginger so
scharf auf Neil war, erleichterte alles. Wenn Neil auf alle Frauen diese
Wirkung hatte, dann war das, was zwischen ihnen beiden ablief, nichts
Außergewöhnliches.
»Dein Kerl ist aber auch total
schnuckelig, wenn ich mich recht erinnere«, fuhr Ginger schamlos fort. »Wo hast
du den denn aufgegabelt?«
Alison lachte. Sie hatte noch nie gehört,
daß jemand Stephen als Kerl bezeichnete. Es paßte überhaupt nicht zu seiner
Gelehrtheit und seinem weltfremden Aussehen.
»Auf einer Silvesterparty... Ich habe
ihn zum ersten Mal in einer Menschenmenge gesehen. Wie im Film«, fing Alison an
die plötzlich Lust hatte, mitzumischen. »Mich wollte wohl auch keiner, und
gerade als ich dachte, es gäbe in London keine attraktiven Männer mehr, kreuzte
er auf... Das war einfach Glück, denn der Grund für den Massenauflauf war, daß
dort zwei Parties gleichzeitig stattfanden. Der Club war doppelt gebucht, und
sie hielten es nicht für nötig, irgend jemanden aufzuklären. Was eigentlich
ziemlich gut war. Denn weil alle so wahnsinnig höflich und englisch waren, hat
es bis spät in der Nacht niemand gemerkt, und als es dann herauskam, amüsierten
sich alle so prächtig, daß niemand einen Aufstand machen wollte.«
»Er war also gar nicht auf der Party,
auf der du warst?« fragte Ginger.
»Na ja, in gewisser Weise schon. Auf
seiner Fete waren hauptsächlich Ärzte und auf meiner vorwiegend Journalisten.
Ihr kennt diese Cliquenbildung doch sicher auch?« Sie sah ihre
Leidensgenossinnen an. Ginger nickte nachdrücklich, Lia hörte nur zu. »Den
ganzen Abend über dachten alle, was für interessante Leute unsere Gastgeber
sein mußten, wenn sie so viele unterschiedliche Menschen kennen...«
Er war Alison sofort aufgefallen, als
er hereinkam. Er war sehr groß und trug einen langen schwarzen Mantel und einen
weichen Filzhut. Als er den Flut abnahm und sich herabbeugte, um eine Bekannte
zu küssen, war Alison erschrocken, als sie sah, daß er völlig kahl war. Es ließ
seine violetten Augen größer und durchdringender erscheinen und machte ihn
seltsamerweise noch attraktiver. Er hatte bemerkt, daß sie ihn ansah, und
gelächelt. Sie hatten sich fast den ganzen Abend lang unterhalten, und als sie
ihre Telephonnummern ausgetauscht hatten und in der Eiseskälte vor dem Club
standen, wußte sie nicht, wie sie sich verabschieden sollte, als sie in ihr
Taxi steigen wollte.
»Ich mag Ihren Hut«, sagte sie in die
verlegene Stille hinein.
»Danke. Er hält meinen Kopf schön
warm. Es war ein Weihnachtsgeschenk. Sie dachte, er würde nicht so auf der
Kopfhaut kratzen wie die Bommelmütze«, erklärte er ihr ganz sachlich.
Und als das Auto davonfuhr, hatte
Alison sich dabei ertappt, wie sie über die Frau nachdachte, die ihm den Hut
geschenkt hatte, und festgestellt, daß sie außergewöhnlich eifersüchtig auf sie
war.
»Er ist also Arzt?« fragte Ginger.
»Er ist Herzchirurg«, antwortete
Alison. »Eigentlich Professor.«
»Wirklich? Wo?« fragte Ginger.
Alison nannte den Namen eines der
großen Ausbildungskrankenhäuser Londons.
»Aber da ist Daddy doch...« Ginger
verstummte plötzlich.
»Wie heißt dein Vater? Ich frage
Stephen, ob er ihn gesehen hat. Er behandelt zwar keine Privatpatienten, aber
ich bin sicher, daß er von ihm gehört hat.«
»Nein, ganz bestimmt nicht...«
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