Keine große Affäre
etwas
nicht. Zuerst wollte ich so gern ein Baby, und jetzt empfinde ich, na ja,
nichts... Ich meine, ich weiß, es ist sehr süß, aber... Das klingt schrecklich.
Du erzählst das doch keinem weiter...?
Ramona hatte den Kampf gegen den Salat
aufgegeben und zerbröselte mit der linken Hand Brot, während sie besorgt
zuhörte.
»Natürlich nicht«, antwortete sie fast
beleidigt. Dann fragte sie vorsichtig: »Wie denkt Stephen darüber?«
»Ach, er liebt das Baby. Es ist, als
hätte er eine neue Dimension in seinem Leben entdeckt.«
Alison mußte plötzlich an den
vergangenen Abend denken. Sie sah ihren Mann beim Spielen mit dem Kind vor
sich. Sie war gerade die Treppe heruntergekommen, als sie hörte, wie Stephen
sagte: »Navigator an Kapitän, bitte kommen.« Er sprach durch die Nase und
machte dabei eine Menge Brumm- und Knackgeräusche. »Wir ändern jetzt den Kurs.
Mummy beim Eindringen in den Luftraum gesichtet, over. Wir setzen zur Landung
an... Wuuusch.«
Benedicts Kopf kam in Augenhöhe aus
dem Eßzimmer geschwebt, gefolgt von seinem Vater, der seinen Sohn auf den
Händen trug. Das Baby sah in seiner Supermannpose völlig entspannt aus.
»Er fliegt gern«, sagte Stephen, von
dem anstrengenden Spiel ganz außer Atem, und sah ziemlich verlegen aus, als ihm
aufging, wie lächerlich sie aussehen mußten.
»Ich meinte eigentlich, was er von
deinem Zustand hält«, unterbrach Ramona ihren Gedankengang.
»Oh, ich weiß nicht... Ich weiß nicht,
ob er es überhaupt bemerkt«, sagte Alison. Ihr Lächeln schwand. »Er ist so oft
weg, und wenn er mal zu Hause ist, schläft er entweder, oder er ist bei Ben. Er
kann das sehr gut, mitten in der Nacht aufzustehen, um nach ihm zu sehen, und
all das — viel besser als ich.«
»Na ja, er ist schließlich Arzt. Er
ist daran gewöhnt, im Schlaf gestört zu werden«, sagte Ramona scharf. »Willst
du damit sagen, du hast ihm nicht erzählt, wie du dich fühlst?«
»Ich würde mich noch mieser fühlen,
wenn ich das tun würde«, sagte Alison.
»Bist du sicher? Warst du beim Arzt?«
»Ich war nach sechs Wochen zur
Nachuntersuchung. Es ist alles in Ordnung.«
»Hast du ihm denn gesagt, daß du
Depressionen hast?« forschte Ramona weiter.
»Ähm, nein...«, gab Alison zu und
sagte dann: »Glaubst du, daß es das ist — postnatale Depression?«
»Hört sich so an... Ich hatte das nach
Jontys Geburt. Nicht so schlimm, wie du es beschreibst, aber ich glaube, ich
verstehe, was du durchmachst«, sagte Ramona. »Ich dachte, es würde ein
Kinderspiel, vor allem weil ich schon ein Baby hatte, aber mir erschien alles
so schwierig. Ich erinnere mich daran, daß Sol und ich monatelang keinen Sex
hatten.«
Alison lächelte aus Erleichterung
darüber, daß jemand anders dieselbe Erfahrung gemacht hatte. Bei der Nachuntersuchung
hatte ihr Arzt sie gefragt, ob sie und Stephen schon wieder Geschlechtsverkehr
gehabt hätten, und hatte überrascht ausgesehen, als Alison verneinte. Ich
dachte, sie hätten auch ein Kind, hätte Alison fast gescherzt, aber sie hatte
es nicht gesagt. Sie war beunruhigt gewesen, daß es unnormal war, es so lange
herauszuschieben.
»Wer kümmert sich um das Kind?« wollte
Ramona wissen.
»Na ja, wenn ich wieder in die Arbeit
gehe, wollen wir uns ein Kindermädchen nehmen. Im Moment kommt wochentags meine
Mutter, und auch an den Wochenenden, wenn Stephen Dienst hat...«
»Ach du meine Güte! Kein Wunder, daß
du Depressionen hast!« sagte Ramona, die sich langsam für das Thema erwärmte.
Für sie gab es nichts Schöneres als Lösungen für die Probleme anderer Leute zu
finden. »Du tust Folgendes: Erstens besorgst du dir sofort eine Kinderfrau. Am
Montagmorgen rufst du als allererstes die Agentur an, okay?«
Alison nickte.
»Zweitens verbannst du deine Mutter
aus dem Haus.«
Alison kicherte.
»Und drittens buchst du eine Wochenendreise,
nur für dich und deinen Göttergatten. Aber wirklich! Und jetzt bestell dir
einen Nachtisch. Du bist viel zu dünn.«
Alison nahm sich noch eine Zigarette
und steckte sie sich nachdenklich an. Da gibt es nur noch eine andere Sache,
wollte sie sagen. Ich glaube, ich bin in jemanden verliebt, mit dem ich
ausgegangen bin, als ich sechzehn war. Wenn ich ihn sehe, fühle ich mich
lebendig. Was soll ich dagegen unternehmen?
Aber sie tat es nicht. Ramona war lieb
und nett. Sie war gütig, dominant und fürsorglich, die ultimative jüdische
Mutterfigur, obwohl sie nur ein paar Jahre älter als Alison war. Aber
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