Keine große Affäre
sagte
Alison sich, als sie zwanzig Jahre später in einem anderen Londoner Park saß.
Wenn Ramona recht hatte, und sie an postnataler Depression litt, dann würde sie
verschwinden, sobald ihre Hormone sich wieder normalisierten. Es hatte ihr
schon sehr geholfen, einfach nur darüber zu reden. Ramonas Ratschläge waren
vernünftig, wenn vielleicht auch nicht so professionell wie die von Mrs. Goode.
Natürlich mußte sie sich eine Kinderfrau nehmen und wieder ihr eigenes Leben
leben. Selbstverständlich mußten sie und Stephen Zeit miteinander verbringen.
Kein Wunder, daß sie sich so komisch fühlte. Sie hatten schließlich monatelang
keinen Sex gehabt.
Der kalte Wind ging ihr durch Mark und
Bein. Sie fror in ihrer Bluse. Sie stand auf, zog die Jacke fester um sich und
ging nach Hause.
»Wozu brauchen wir um Himmels willen
einen funkelnagelneuen Kinderwagen, der sich zu einem Buggy umrüsten läßt, mit
Regenschutz, Einkaufskörbchen, Sonnendach und Fußmuff, was auch immer das sein
mag?« zischte Neil hinter Lia, als die Verkäuferin ihnen mit Singsangstimme die
Vorzüge des neuesten Mama-Papa-Angebotes demonstrierte.
»Weil wir nur die Tragetasche auf
Rädern von deinem Bruder haben. Sie ist alt und läßt sich schwer schieben«,
erklärte Lia flüsternd und versuchte mitzubekommen, was die Verkäuferin sagte.
»Aber er kostet fast so viel wie ein Kleinwagen«,
protestierte Neil.
»Wir überlegen es uns«, sagte Lia zu
der Verkäuferin. »Vielen Dank.«
Sie ging rasch zum Fahrstuhl.
»Wo willst du denn hin?« Neil eilte
hinter ihr her.
»Nach Hause«, sagte sie
kurzangebunden, ohne sich umzudrehen. »Ich weiß nicht, wieso wir überhaupt
hergekommen sind, wenn wir uns sowieso nichts leisten können.«
»Lia, bleib doch mal stehen«, sagte
er. Ihre Verärgerung hatte ihn zur Einsicht gebracht. »Warum setzen wir uns
nicht irgendwo hin und rechnen aus, was wir uns leisten können.« Er legte ihr
die Hand auf den Arm. »Schau, da drüben ist ein Café. Laß uns einen Kaffee
trinken.«
»In Ordnung«, sagte sie und atmete
tief durch. »In Ordnung.«
Sie setzte sich an einen Tisch am
Fenster, blickte hinaus auf die vornehmen Dächer des Cavendish Square und dann
zur Theke, wo Neil verschwenderisch zwei frische Cremetörtchen auf sein Tablett
schob. Sie nahm die Frau im Kittel gar nicht zur Kenntnis, die anfing, den
Tisch abzuwischen. Die Frau hielt inne, und Lia spürte, daß sie angestarrt wurde.
Dann sagte eine vertraute Stimme: »Bist du es wirklich? Hallo, Lesley! Wie
geht’s dir?«
Lia blickte jäh auf.
Bevor sie antworten konnte, stand auch
Neil mit dem beladenen Tablett am Tisch.
»Hallo, Trace«, sagte Lia ruhig. »Das
sind Neil und Anouska.« Sie zeigte auf das Baby, das an Neils Brust schlief.
»Oooh, ist die süß«, quietschte die
Frau.
»Danke«, antwortete Lia zurückhaltend.
»Also, ich muß weitermachen. War
schön, dich wiederzusehen«, sagte die Frau und war verschwunden.
»Wer war das denn?« fragte Neil
verdutzt.
»Trace. Eins von den Mädchen aus
meinem Haus«, sagte Lia. »Sie war immer ein ziemlicher Tyrann.«
»Sie hat dich Lesley genannt«, sagte
Neil und setzte sich.
»Wirklich?« antwortete Lia. Plötzlich
hatte sie keinen Appetit mehr auf das Schokoladeneclair, das vor ihr stand.
Neil schwieg, aber durch die
unausgesprochene Frage lag Spannung in der Luft.
»Das ist keine große Sache«, sagte
Lia. »Als ich nach Spanien gegangen bin, habe ich meinen Namen geändert.
Eigentlich war das gar nicht ich. Der erste, der mich danach fragte, hat
anstatt Lesley Lia verstanden. Das klang schön, und so ist der Name
hängengeblieben.«
»Aha«, sagte Neil.
»Was ist daran so schlimm?«
»Nichts, nehme ich an«, sagte er.
»Na, du siehst aber ganz schön sauer
aus«, sagte sie.
»Nein, ich bin nicht sauer.«
»Ach, das ist doch lächerlich«, sagte
sie und stand auf, um das Café zu verlassen. Die Decke schien plötzlich so
niedrig zu sein, daß sie drohte, sie zu zerquetschen. Sie mußte an die Luft.
Sie fuhren mit dem Fahrstuhl nach
unten und gingen schweigend durchs Erdgeschoß.
»Ich verstehe nur nicht, wieso du mir
nicht erzählt hast, daß du deinen Namen geändert hast«, sagte er, als sie das
Geschäft verließen.
»Aber ich habe ihn doch gar nicht
geändert«, sagte Lia, die versuchte, mit ihm Schritt zu halten, als er sich
einen Weg durch die Menschenmenge in der Oxford Street kämpfte. »Er hat mir
gefallen. Es war unkomplizierter, einfach ja zu sagen. Ich
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