Keine große Affäre
schlanken Keanu-Reeves-Klon folgte.
»Warum tust du uns das an?« fragte
Ginger ihn. »Es ist, als würde man jemanden, der gerade auf Diät gesetzt ist,
dazu zwingen, den ganzen Abend ins Schaufenster der Patisserie Valerie zu
starren.«
»Ich kenn einfach nicht so viele
heterosexuelle Männer«, klärte Robert sie auf.
»Ich frage mich langsam, ob’s
überhaupt noch welche gibt«, sagte Ginger. »Ich bin grad die Old Compton Street
runtergegangen, und ich sage dir, da sitzen Männer auf dem eiskalten
Bürgersteig und trinken Amaretto und Espresso, als wären sie im Frühling in
Rom, und sie haben mich keines Blickes gewürdigt. Nicht mal gepfiffen haben
sie.«
»Ich dachte, du haßt diese
Bauarbeitermentalität«, sagte Robert.
»Es ist viel schlimmer, von den
geilsten Motorradboten der Stadt ausgestochen zu werden...«
»Nun, ich weiß nicht, ob du auf die
Meinung eines unverbesserlichen, alten Schwulen Wert legst«, sagte Robert zu
ihr. »Aber ich finde, du siehst heute abend sehr hübsch aus.«
»Danke, Robert«, sagte sie und lächelte
ihn dankbar an. Er konnte einen zur Weißglut bringen, aber manchmal, wenn man
es am wenigsten erwartete, schaffte er es, einem ein wunderbares Gefühl zu
vermitteln. Das war der Grund, weshalb sie ihn einfach sehr gern haben mußte.
»Er ist noch nicht hier«, fügte er
hinzu, als er bemerkte, daß sie sich ängstlich umschaute. »Aber hier sind viele
Leute, die es gar nicht erwarten können, dich zu begrüßen...«
»Wir haben uns ja ewig nicht
gesehen... Wo hast du bloß gesteckt... Warst du im Ausland?« Urplötzlich wurde
sie von Leuten umringt, die sie monatelang nicht gesehen hatte und die ihr
Löcher in den Bauch fragten. In der U-Bahn hatte sie ein paar coole Antworten
einstudiert, aber jetzt konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, auf der
Stelle zu verkünden: »Ich hab ein Baby gekriegt!«
Sie bemerkte, daß viele Gesichter
erstarrten. Die meisten setzten ein falsches, verlegenes Grinsen auf und
wandten sich ab. Ein paar von Roberts Ex-Lovern fingen an, darüber zu palavern,
daß man das Gesetz ändern sollte, damit homosexuelle Paare Kinder adoptieren
dürften. Zwei Journalistinnen versicherten sich gegenseitig, wie gräßlich es
doch war, daß alle Welt glaubte, wenn man die Dreißig erreicht hatte, hätte man
nichts anderes im Kopf, als schwanger zu werden. Und ein Werbemanager hielt
einen Vortrag darüber, daß es heutzutage fast unmöglich war, ohne Baby irgend
etwas an den Mann zu bringen, ob es nun Rasierapparate waren oder Klopapier.
Ein Baby war das perfekte Modeaccessoire, versicherte er Ginger.
»So wie eine Hermes-Kelly-Tasche aus
echtem Krokodilleder?« fragte Ginger ihn.
Er dachte einen Moment nach. »Fast
noch besser«, verkündete er, weil er sich in Modefragen nicht festlegen wollte.
Sie fand das so amüsant, daß ihr
Verlangen, laut loszuschreien, schwand.
Ich spreche nicht über Politik,
Gebärzwang oder Werbestrategien, wollte sie erklären. Ich habe nur ein neues
Lebewesen geschaffen. Ist das so langweilig? Ich bin auch nicht daran
interessiert, über Koliken oder Windeln zu diskutieren, aber habt ihr je darüber
nachgedacht, wie wunderbar es sein muß, zum ersten Mal einen glänzenden
Heliumballon zu sehen, der über eurem Kinderwagen schwebt, wenn ihr noch keine
Ahnung von Schwerkraft oder Licht habt, aber trotzdem irgendwie wißt, daß etwas
ganz Besonderes geschieht?
Es war die Mühe nicht wert. Muttersein
war einfach keine Option für gebildete Karrierefrauen in den Zwanzigern. Sie
würden nur glauben, ihr Gehirn sei durch die Schwangerschaft geschrumpft. Sie
fand sich damit ab und dachte an Guys Gesichtsausdruck, wenn er morgens
aufwachte und sich auf all den Spaß freute, den der Tag bringen würde. Es
machte sie traurig, daß das in der feinen Gesellschaft kein geeignetes
Gesprächsthema war. Was für eine seltsame, kinderfeindliche Nation wir doch
sind, dachte sie.
Ironischerweise war Lucretia die
einzige, auf deren Gesicht sich auch nur eine Spur Interesse zeigte.
»Ist es nicht absolut furchtbar?«
fragte sie schleppend und blies eine Wolke aus Zigarrenqualm senkrecht in die
Luft. Mit vertrauensseliger Miene beugte sie sich theatralisch zu ihr.
Ginger war erfreut, festzustellen, daß
sie deutliche Falten um die Augen hatte und daß der Atem, der aus ihren
blutfarbenen Lippen strömte, säuerlich und muffig roch. Langsam zeigte sich ihr
Charakter in ihrem Gesicht, dachte Ginger gehässig. Sie war zwar
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