Keine große Affäre
machte
ihr Spaß, jemanden zu belehren, der sich selbst für einen solchen Experten für
Umgangsformen hielt. Sie wußte genau, daß ein Grund für Roberts Freundschaft zu
ihr seine Faszination über ihre aristokratische Abstammung war. Er war der
schlimmste Snob, den man sich nur vorstellen konnte.
Der Kellner kehrte mit einer großen
Plastikflasche Heinz-Ketchup zurück.
»Danke sehr.« Ginger lächelte ihn
hoheitsvoll an. »Sie haben nicht zufällig so ein kleines Gewürztablett mit
dieser wunderbaren, klebrigen Maissauce und Mango-Chutney, oder? Sie wissen
schon, was ich meine, aus rostfreiem Stahl, und man kann sie drehen... Nur ein
Scherz«, fügte sie hinzu und streckte Robert die Zunge heraus, der Messer und
Gabel hingelegt und kapitulierend die Hände gehoben hatte.
»Oh, mein Gott, dreh dich nicht um«,
sagte Ginger, die Charlie Prince entdeckt hatte, der am anderen Ende des Raumes
aß. Er war durch Lucretias Rücken verdeckt gewesen, aber als sie sich
vorbeugte, um sich an der Kerze einen Stumpen anzuzünden, erblickte er Ginger
und lächelte sie an.
Sie konnte nicht zurücklächeln, weil
sie wußte, daß sie dann statt Zähnen halbgekautes Hackfleisch entblößen würde.
Schnelles Kauen schien ihren Mund nur noch voller zu machen, und als sie
endlich geschluckt hatte, war es zu spät, und sie lächelte Lucretias
geschmeidigen Rücken an. Ginger fiel auf, daß man durch die schwarze
Chiffonseide, die sie trug, ihre Rückenwirbel sehen konnte. Sie sah weg, weil sie
wußte, daß ihr Gesicht so rot geworden war, daß es farblich zu dem Ketchupfleck
paßte, den sie auf ihrer Wange spürte.
»Was findet er bloß an dieser Hexe?«
fragte sie Robert nicht gerade leise.
»Sie ist eine wunderbare
Schauspielerin«, antwortete Robert, der sich schnell umsah, um sicherzugehen,
daß niemand in Hörweite war, den er kannte. »Und sie sind schon ewig zusammen,
obwohl ich glaube, es ist alles sehr offen.«
»Aber sie ist so...« sagte Ginger
verzweifelt.
»Ach, tief drinnen ist sie
wahrscheinlich eine Mimose wie wir alle.«
»Wirklich?«
»Glaube ich nicht, aber ihre
Rücksichtslosigkeit hat etwas Faszinierendes. Jedenfalls für jemanden, der so
ehrgeizig ist wie Charlie.«
Niemand sprach über Charlie, ohne das
Wort Ehrgeiz zu verwenden. Er sagte immer, daß Herkunft keine Rolle spielte,
aber irgendwie wußte jeder, daß er in einem Hochhaus im East End aufgewachsen
und der einzige Junge seiner Gesamtschule war, der je ein Stipendium für Oxford
gewonnen hatte.
»Sucht er wirklich jemanden für die
Konzeptentwicklung?« fragte Ginger, die sich vage an ihr Gespräch von vorhin
erinnerte. Sie war erleichtert, daß Robert darauf bestanden hatte, sie wieder
nüchtern zu machen.
»Ja.«
»Na gut. Wenn er es dir gegenüber noch
einmal erwähnt, sag ihm bitte, daß er mich anrufen soll.«
»So läuft das nicht, Ginger«, sagte
Robert. Das war nichts Neues für sie.
»Ich weiß«, sagte sie resigniert und
nahm sich die letzte Kartoffelscheibe aus der Schüssel. »Ich glaube nicht, daß
ich für eine Superkarriere bei den Medien bestimmt bin. Ich kann halt keinen
Small Talk machen.«
»Du könntest das schon, wenn du nur
nicht so... so... ehrlich wärst«, sagte Robert schließlich.
»Na ja, ich weiß sowieso nicht, ob ich
das überhaupt will«, sagte Ginger.
»Was willst du denn dann machen?«
fragte Robert sie ungeduldig.
Medienleute haßten es, wenn man auch
nur die geringste Kritik an ihrer Welt äußerte. Sie stand auf so fragwürdigen
Fundamenten wie persönlichen Macken, Stil und Ironie, daß alle eine Heidenangst
hatten, um sie herum könnte alles zusammenbrechen.
»Ich würde gern noch mehr Kinder
bekommen«, sagte Ginger, zum Teil weil es ihr Spaß machte, ihn auf die Palme zu
bringen.
»Sie will nicht in der Medienbranche
arbeiten, sie will Mia Farrow sein«, höhnte Robert. »Entschuldige mich. Ich geh
nur mal schiffen.«
Der Kellner überreichte Ginger eine
Dessertkarte. Sie war so beschäftigt damit, sich zwischen der
Schokoladenmarquise und der tarte tatin in einer Lache duftender Vanillesauce
zu entscheiden, daß sie nicht einmal aufblickte, als er zurückkam, um ihre
Bestellung aufzunehmen.
»Wäre es sehr unverschämt«, fragte
sie, während ihr Zeigefinger zwischen den beiden Desserts, mit denen sie
liebäugelte, hin und her sprang, »die Schokoladenmarquise mit ein bißchen
Vanillesauce zu bestellen?«
»In dem Kleid kriegst du bestimmt
alles, was du willst«, sagte Charlie Prince zu
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