Keine Lady ohne Tadel
lediglich um ein Kussekzem«, erklärte sie mit verlegenem Lachen. »Bin ich nicht naiv? Als wir geheiratet haben, warst du wohl noch zu jung, und deshalb kannte ich so etwas überhaupt nicht.«
Sie lachte ein wenig atemlos, wartete wohl nervös auf seinen Ausbruch. Aber diese Genugtuung würde er ihr nicht bereiten. Er schaute sie lediglich an, und das Lachen erstarb ihr auf den Lippen. »Du bist immer noch meine Frau …«, begann er.
Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. Nein, das war beileibe nicht mehr das einfältige junge Ding, das er geheiratet hatte! Nicht die Helene nach der Rückkehr aus Gretna Green, ein Mädchen, das abwechselnd hysterische Anfälle und Tränenausbrüche bekam. Diese neue Helene war selbstsicher, kühl und unnahbar.
»Nur dem Namen nach, Rees. Du hast dir längst eine andere in dein Haus geholt.«
Er blickte über ihre Schulter zu Fairfax-Lacy hinüber, der nun zu Tonleitern übergegangen war. Der Mann konnte spielen. Höchstwahrscheinlich tat er auch noch etwas anderes mit Helene. »Ein Gentleman, der dir während deiner Scheidung zur Seite stehen will, bleibt nicht am Klavier sitzen, während du deinem erzürnten Ehemann die Stirn bietest«, sagte er wutbebend.
»Dich kann man wohl kaum als erzürnten Ehemann bezeichnen«, entgegnete sie kühl. »Ich habe Stephen gebeten, am Klavier zu bleiben, weil ich nicht glaube, dass du an seiner Bekanntschaft interessiert bist. Und wer hat etwas von Scheidung gesagt?«
»Du hast dir also einen Liebhaber genommen!«, fauchte Rees, der nahe daran war, diesem aalglatten Bastard die Faust ins Gesicht zu schmettern. »Was willst du eigentlich, Helene?«
»Vergnügen«, erwiderte sie, und ihr Lächeln tat ihm weh. »Mein Vergnügen, Rees.«
Er ließ sie brüsk stehen, drehte sich vor der Tür aber noch einmal um. »Wer hat das Beethovenstück für vier Hände arrangiert?«
»Ich. Ich habe alle seine Sonaten vierhändig gesetzt.«
Er hätte es wissen müssen. Die Sonate hatte halb nach Beethoven und halb nach Helene geklungen, was eine merkwürdige Mischung ergab.
»Da wir das nun geklärt haben«, schaltete sich Lady Withers fröhlich ein, »kann ich Ihnen jetzt ja Ihr Zimmer zeigen, Lord Godwin. Ich hoffe, dass Sie uns recht lange mit Ihrer Gesellschaft beehren werden.«
Rees drehte sich fauchend zu ihr um wie ein in die Enge getriebener Löwe, dann stapfte er laut hinaus. Wie Arabella später Esme berichtete, die die Szene im Rosensalon verpasst hatte, habe der Earl of Godwin aufs Haar genau dem »wilden Mann« aus dem tiefsten Afrika geähnelt, den sie einmal in einem Wanderzirkus gesehen hatte.
»Seine Haare haben sich buchstäblich gesträubt, und dazu noch dieses Fauchen!« Sie wandte sich an Lady Godwin. »Ganz ehrlich, Helene, Ihr Mann ist … beeindruckend.« Es klang, als zolle sie ihm wider Willen Respekt.
»Oh, Rees kann gut fauchen«, lautete Helenes Kommentar dazu. Arabella, Esme und Helene saßen gemütlich in Esmes Zimmer bei Tee und Ingwerkeksen.
Esme sah von ihrem Teller auf. Erheiterung stand in ihren Augen. »Das Tollste daran ist doch, dass er fauchte, weil du es geschafft hast, an seiner Galle zu zerren – oder wie auch immer dieser Ausdruck lautet, den du ständig im Munde führst.«
»Ihm die Galle überlaufen zu lassen«, präzisierte Helene, und auch sie wirkte überaus vergnügt. »Unser Gespräch hat ihm wirklich zugesetzt, meinen Sie nicht auch, Lady Withers?«
»Zugesetzt ist nicht ganz das richtige Wort.« Arabella rührte ihren Tee um. »Er war erbost. Absolut erbost. Krebsrot vor Wut.«
»Ich hoffe nur, Rees ist nicht zu erbost«, meinte Esme. »Es geht doch nicht an, dass mein zukünftiger Mann von deinem Gatten zerfleischt wird, Helene. Und wenn die Diener erst ausplauderten, was sie über uns wissen, dann wäre der Skandal wohl kaum noch zu überbieten.«
Helene dachte darüber nach, was die Diener zu wissen glaubten und was tatsächlich geschehen war. »Ich finde, du hättest mir Stephen ruhig lassen können«, gab sie Esme ein wenig ungehalten zu verstehen. »Was ist, wenn Rees dahinterkommt, dass du meinen Liebhaber zu deinem zukünftigen Ehemann erkoren hast?«
»Ich glaube kaum, dass die Gefahr besteht, dass dein Mann mit Stephen darüber spricht«, versicherte Esme. »Rees hat bereits verkündet, dass er höchstens einen Tag bleiben wird, also muss Stephen nur für kurze Zeit mit einer Verlobten und einer Geliebten jonglieren. Und er wäre beileibe nicht der Erste in einer solchen Lage. Ich
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