Keine Lady ohne Tadel
Arabella. »Natürlich ist es lieb von dir, sie zu verteidigen. Fanny verbringt ihre Zeit damit, die Welt zu betrachten und über deren Schlechtigkeit die Nase zu rümpfen. Ich war immer froh, wenigstens eine Verwandte zu haben, die Grips besitzt. Ich will dich nicht auch noch an die Schwesternschaft der prüden Matronen verlieren!«
»Deine Tante hat recht«, schaltete sich Helene ein. »Ich kenne deine Mutter ja nur sehr flüchtig. Aber wenn ich mir vorstelle, dass du so prüde und zimperlich würdest wie Mrs Cable, wird mir ganz anders. Sie ist wirklich keine liebenswerte Frau, Esme.«
»Ich weiß«, sagte Esme. »Glaubt mir, ich weiß das.«
Arabella sah ihre Nichte prüfend an und beschloss, das Thema zu wechseln. Doch während sie mit Helene über die Spitzenstickerei ihrer Ärmel plauderte, saß Esme schweigend da. Sie hatte Miles versprochen, seinem Kind zuliebe zu einer ehrbaren Mutter zu werden. Doch Miles gab es nicht mehr. Sie hatte sich geschworen, nie mehr einen Skandal zu verursachen, doch eine Ehe mit Marquis Bonnington wäre der schlimmste Skandal, den sie heraufbeschwören könnte.
25
Ein Geschmack an Verführung
Am nächsten Morgen stapfte Bea den Pfad hinunter, um der Ziege einen Besuch abzustatten. Aus purer Langeweile hatte sie sich angewöhnt, das teuflische Geschöpf allmorgendlich zu besuchen. Natürlich hätte sie stattdessen mit dem Puritaner flirten können. Aber ärgerlicherweise übten er und Helene ausdauernd ein vierhändiges Klavierstück ein. Wenn sie Helenes helle Zöpfe dicht neben Stephens dunklem Schopf sah, während die beiden in die Tasten griffen, befiel Bea eine seltsame Sehnsucht, die ihr das Herz abdrückte. Solche Gefühle kannte sie überhaupt nicht.
Einmal, ein einziges Mal, war sie nach dem Frühstück kurz mit ihm allein gewesen. Da hatte er sie mit kühlem Lächeln gemustert und gefragt: »Gehe ich recht in der Annahme, dass du beschlossen hast, nicht um mich zu werben?«
Und sie hatte geantwortet: »Ich werbe nie um einen Mann«, und heimlich gehofft, er werde sie küssen oder sie so anlächeln, wie er Esme und Helene anlächelte. Doch er hatte sich stumm verneigt und war gegangen. Erst in diesem Augenblick war Bea bewusst geworden, dass sie nichts lieber täte, als ihn zu umwerben. Stephen seinerseits zeigte sich wenig geneigt, ihre Bekanntschaft zu vertiefen. Wie denn auch? Er hatte ja gar keine Zeit dazu! Wenn er nicht mit seiner Geliebten Klavier spielte, erzählte er seiner Verlobten derbe Witze. Und Gott allein mochte wissen, wo er seine Nächte verbrachte. Bea knirschte vor Wut mit den Zähnen. Sie dachte mittlerweile mit schöner Regelmäßigkeit an Stephen Fairfax-Lacy und schalt sich ebenso oft dafür. Sie hielt dem Ziegenbock ein Zweiglein hin, das sie mitgebracht hatte, und sah gedankenverloren zu, wie er es zermalmte.
In der Tat, Lady Beatrix Lennox hatte einen gewaltigen Verlust an Selbstvertrauen zu beklagen. Zuerst hatte Mr Fairfax-Lacy sie nicht als Geliebte haben wollen und statt ihrer Helene zu seiner Gespielin erkoren. Und der Marquis Bonnington hatte von Anfang an kein Interesse an ihr gezeigt. Bea musste heftig blinzeln, um ihre Tränen zurückzuhalten.
Der Ziegenbock kaute so geräuschvoll, dass es kein Wunder war, wenn sie nichts anderes hören konnte. »Hast du keine Angst, diesem Spenzer fressenden Untier zu nahe zu kommen?«, fragte mit einem Mal eine Stimme nahe an ihrem Ohr.
Allmählich wird meine Ähnlichkeit mit einem dressierten Hund allzu offenkundig,
dachte Bea niedergeschlagen. Sie brauchte nur seine Stimme zu hören, und schon wurden ihr die Knie weich.
»Die Ziege stört mich nicht«, erwiderte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen. Denn welchen Sinn hätte das gehabt? Er lehnte neben ihr am Zauntritt, offenbar völlig unbeeindruckt von ihrem ungnädigen Empfang.
»Wir sollten auch die anderen mit dieser faszinierenden Kreatur bekanntmachen«, meinte er müßig. »Ich glaube nicht, dass Esme überhaupt etwas von ihrer Existenz weiß. Ich hingegen ertappe mich zwanghaft dabei, das Tier jeden Tag zu besuchen.«
Bea rüstete sich zur Offensive. »Ich dachte, Sie verbrächten jede Minute mit Lady Godwin«, sagte sie in rüdem Ton. »Oder beansprucht etwa Lady Rawlings den Großteil Ihrer Zeit?«
»Nicht meine ganze Zeit. Bist du etwa eifersüchtig?« Seine Stimme hatte diesen dunklen, lässigen Ton angenommen, der Bea regelmäßig zur Raserei trieb.
»Überhaupt nicht!«, schleuderte sie ihm entgegen und sah ihn zum ersten
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