Keine Lady ohne Tadel
sicherlich richtig«, warf Arabella fröhlich ein. »Und da auch du nun hier bist, Fanny, wird unsere Gesellschaft bald das Aussehen einer Totenwache annehmen!«
»Deine Leichtfertigkeit ist geradezu abstoßend!«, fauchte Fanny. »Meine einzige Freude an diesem Besuch ist die, dass ich meine Tochter so verändert vorfinde.« Sie tätschelte Esmes Hand. »Du bist die Tochter geworden, die ich mir immer schon erträumt habe.«
»Ja, Esme ist bemerkenswert still, findet ihr nicht auch?«, sagte Arabella.
»Schweigen ist eine Tugend, auf die sich nur wenige Frauen verstehen. Glaube mir, züchtiges Schweigen ist ein größerer Segen als das schamlose Geschwätz, das du als Konversation bezeichnest«, hielt Fanny ihrer Schwester vor.
»Frag Esme doch mal nach ihrem Nähkränzchen«, empfahl Arabella, erhob sich und schüttelte ihre Röcke aus. »Ich fürchte, ich muss mich nun zurückziehen. Die Heiligkeit in diesem Zimmer ermüdet mich, weil ich eine verschlagene Isebel bin.«
Esme spürte, wie ihr das Herz schwer wurde. Fanny hatte ihre Schwester mit dem missbilligenden Blick bedacht, den sie sonst für ihre Tochter reservierte. Einerseits war es schön, einmal nicht die Zielscheibe des mütterlichen Zorns zu sein. Aber Esme wollte auch nicht dulden, dass Arabella gekränkt wurde.
»Tante Arabella war mir während der letzten Wochen eine große Hilfe«, sagte sie, nachdem sich die Tür hinter der Tante geschlossen hatte. »Ich weiß nicht, was ich ohne sie gemacht hätte.«
»Ach, tatsächlich?«, meinte Fanny. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie mein verderbtes Schwesterherz jemandem beistehen könnte. Abgesehen von einem Schürzenjäger vielleicht. Einem solchen Mann würde sie gewiss ohne Zögern helfen, seine lüsternen Ziele zu verfolgen.«
Esme war wie vor den Kopf geschlagen. Sie hatte überhaupt nicht gewusst, was für eine Beißzange ihre Mutter war. »Arabella hat mir bei Williams Geburt mit Rat und Tat zur Seite gestanden«, äußerte sie behutsam.
»Wusste ich’s doch, dass du mir vorwerfen würdest, bei der Geburt fern gewesen zu sein«, sagte Fanny verdrossen. »Hast du nicht gesehen, wie viel Schmerz mir allein der Anblick eines Babys bereitet? Wie kannst du es also wagen, davon zu sprechen?«
»So habe ich das doch nicht gemeint.«
Lady Bonnington hatte schweigend dabeigesessen und Fanny und Esme mit einem schwer zu enträtselnden Ausdruck beobachtet. Nun tat auch sie ihre Meinung kund. »Ich muss Lady Withers mein Lob aussprechen, weil sie Lady Rawlings bei der Geburt so tapfer beigestanden hat. Sie war ihr eine größere Hilfe als ich.«
Fanny überlief ein Schauder. »Du bist bei der Geburt dabei gewesen, Honoratia? Warum in aller Welt hast du dich einer solchen Qual ausgesetzt?«
»Deine Tochter hat die Qualen erlitten, nicht ich«, korrigierte Lady Bonnington. »Ich habe sie lediglich mit guten Ratschlägen unterstützt.«
»Nun gut«, sagte Fanny gereizt. »Natürlich freue ich mich, dass Arabella endlich einen Funken Familiengefühl zeigt. Denn hat sie jemals an mich gedacht? Sie ist eine Ehe nach der anderen eingegangen, ohne mich auch nur einmal nach meiner Meinung zu fragen.«
»Man kann Tante Arabella wohl kaum für den Tod ihrer Ehemänner verantwortlich machen«, sagte Esme – und wünschte sofort, sie hätte den Mund gehalten.
»Sie hat sie ins Grab getrieben!«, fauchte Fanny. »Ich bin mit ihr zusammen aufgewachsen und habe immer schon gewusst, was für eine Person sie ist.«
Esme erhob sich und läutete. »Soll ich Slope bitten, den Tee zu servieren?«, fragte sie. »Du musst nach der langen Reise doch erschöpft sein, Mama.«
»Nein, gar nicht, denn ich war bei Lady Pindlethorp zu Besuch, das ist nur eine knappe Stunde von hier«, erklärte Fanny. »In dieser Jahreszeit zu reisen, ist für eine Frau meines Alters schlichtweg zu ermüdend. Und die beiden Wochen mit Lady Pindlethorp waren sehr erbaulich. Wir haben ja so viele gemeinsame Interessen!«
Esme drehte sich ganz langsam zu ihrer Mutter um. »Willst du damit sagen, dass du ganz in der Nähe gewesen bist? Aber dann … hättest du doch jederzeit zu einem Besuch herüberkommen können!«
Fanny blickte sie verständnislos an. »Ich musste doch sicher sein können, dass du dich gebessert hattest, Liebes. Ich hätte niemals allein aufgrund von Honoratias Versicherungen meinen guten Ruf aufs Spiel gesetzt, obgleich ich natürlich jederzeit auf ihren Rat hören würde. Ich will gerne zugeben, dass ich jede
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