Keine Lady ohne Tadel
die Wiese, zweifellos beeindruckt von ihrem Umgang mit widerspenstigen Tieren.
Die Zeit bringt es mit sich, dass Erinnerungen gemildert werden. Gewiss, Beas schärfster Ton hatte Erfolg gezeitigt. Aber wie hatte sie vergessen können, dass ihre bösen kleinen Schwestern oft genug Rache genommen hatten?
Der Tritt landete gut gezielt auf ihrem Hinterteil und warf sie um. Sie landete mit einem gewaltigen Platscher genau vor Mr Stephen Fairfax-Lacys Füßen.
»Aua!«
Immerhin lachte er sie nicht aus. Er ging neben ihr in die Hocke, und seine blauen Augen drückten so viel Mitgefühl aus, dass sie fast in Tränen ausgebrochen wäre. Vielleicht lag es aber auch an dem höllischen Schmerz an ihrem Hintern.
»Wenigstens haben Sie Ihren Spenzer noch«, sagte er beschwichtigend.
Bea schaute auf ihre Hand, in der sie ein schlammiges, zerkautes Jäckchen hielt. Der Ziegenbock mochte Rache genommen haben, sie aber hatte ihm sein Abendessen weggenommen. Bea fing an zu kichern.
Auch der Mundwinkel des Puritaners zuckte leicht. Ein Schauer warmen Regens traf Beas Wangen, ein Schauer, wie er zuweilen an einem sonnigen Tag fällt. Wasser floss an ihren Ohren herab und fiel prasselnd auf die Blätter einer kleinen Birke. Bea leckte sich die Lippen. Dann hörte der Schauer ebenso unvermittelt wieder auf.
»Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie so viel Wert auf Ihre Kleider legen«, sagte er und berührte sanft ihre Wange. Einen Moment lang wusste Bea nicht, was er da machte, und dann wurde ihr klar, dass er Schlamm abwischte.
Ohne weiter nachzudenken, lehnte sie sich an den Puritaner und lachte aus vollem Halse. Sie brüllte vor Lachen, wie sie es damals mit ihren Schwestern in der Kinderstube getan hatte. Wie sie gelacht hatte, als die Welt noch hell und frisch und neu gewesen war.
Bea lachte so sehr, dass sie fast weinen musste, deshalb verstummte sie abrupt.
Fairfax-Lacy hatte nicht in ihr Lachen eingestimmt. Sie wollte verdammt sein, wenn der Puritaner nicht die nettesten Augen der Welt hatte. Er nahm sie auf seine Arme und trug sie zu der Birke, setzte sich mit dem Rücken an den Stamm. Bea war erstaunt, dass er sie nicht ins Gras setzte, sondern auf seinen Schoß.
»Sie haben triumphiert«, sagte er zu ihr. Sonnenstrahlen brachen matt und wässerig durch das Birkenlaub. In diesem Licht wirkten seine Augen dunkelblau, ein Azurblau aus den Tiefen des Meeres.
Bea zog kritisch eine Braue hoch. Die Farbe, die sie überreichlich auf Augenbrauen und Wimpern verteilt hatte, musste inzwischen ihre Wangen hinunterrinnen. Ach was, er konnte ja glauben, dass es Schlamm war.
»Eine Ziegen-Bezwingerin.«
»Eine meiner mannigfachen Fähigkeiten«, sagte sie. Ihr war ein wenig mulmig zumute.
»Ich würde vorschlagen, dass Sie sich vorerst auf Ihren Lorbeeren ausruhen.« In seinen Augen stand ein Schimmer von Belustigung, der Bea fast … ein Gefühl von Schwäche gab. So etwas kannte sie überhaupt nicht. Also lehnte sie sich an ihn und dachte, wie gut sich das doch anfühlte. Der Jammer war nur, dass sie dem Gespräch nicht ganz folgen konnte.
»Was haben Sie gesagt?«, fragte sie.
Nun merkte sie, dass er sich köstlich amüsierte. »Ihr Hut.«
Bea schrie auf und fasste an ihren Kopf. Jetzt erst begriff sie, warum sie den Regen gespürt hatte.
»Da.« Er zeigte nach rechts. Der verdammte Ziegenbock war damit beschäftigt, ihren schönsten Hut zu verspeisen. Die grüne Feder hing ihm aus dem Maul, und er schien zu grinsen.
Bea stieß einen Schrei aus und wollte aufspringen.
»Lieber nicht!« Der Puritaner hatte Arme wie Stahl. Er kümmerte sich kein bisschen um ihr Gezappel, sondern drehte sie einfach zu sich herum. Als sie ihm ins Gesicht schaute, verstummte sie.
Er küsste nicht wie ein Puritaner. Und auch nicht wie ein alter Mann.
Er küsste wie ein Verhungernder. Bea triumphierte. Der Puritaner hatte also nur so getan, als ob er auf ihre Reize nicht reagierte! Ha! Es war alles nur Theater gewesen. Er war auch nur … er war genau wie … doch dann verlor sie heimtückischerweise den Faden ihres Gedankens.
Er küsste sie so behutsam, als wäre sie ein kleines Baby. Er schien noch nicht einmal den Wunsch zu hegen, ihr die Zunge in den Mund zu stecken. Stattdessen streifte er nur ihre Lippen, und seine Hände hielten ihren Kopf so zart, dass sie erbebte. Das gefiel ihr.
Dann spürte sie seine Zunge. Sie sang auf ihren Lippen, geduldig und mit einem Geschmack nach Himbeeren. Bevor sie ihren Willen befragen konnte, ließ
Weitere Kostenlose Bücher