Keine Lady ohne Tadel
steife Puritaner.
Es war nicht so, dass Bea Helene und Mr Fairfax-Lacy ihr Vergnügen missgönnte. Sie wünschte ihnen von ganzem Herzen Erfüllung. Immerhin hatte sie die beiden zusammengebracht, nicht wahr? Bea strebte schnurstracks auf die Treppe zu und versuchte, nicht daran zu denken, was den Puritaner zu einem so freudigen, schallenden Gelächter veranlasst hatte. Was hatte Helene getan? War sie ebenso wie sie bewandert in der Kunst, einen Mann zu erfreuen? Bea glaubte es nicht.
Vielleicht war es das Lachen zweier Menschen gewesen, die sehr unerfahren waren und gemeinsam nie gekannte Freuden entdeckten. Bea konnte sich allerdings nicht entsinnen, je mit einem Mann gelacht zu haben. Sie rief sich die entsprechenden Anlässe ins Gedächtnis. Da hatte es eine Menge heftiges Atmen und Getue gegeben … aber Lachen? Das nicht.
Bei der Erinnerung an ihre Verflossenen wurde ihr ein wenig übel, und sie schritt umso entschlossener die Treppe hinab. Als sie in der Bibliothek war, strich sie an den Regalen entlang und hielt ihre Kerze hoch, um die Titel lesen zu können. Doch sie fand kein Buch, das sie zu fesseln vermochte.
Die Vorstellung, in ihr kaltes Bett zurückzukehren, war bedrückend. Und die Aussicht, eines dieser törichten Bücher zu lesen, reichte aus, um eine Frau in den Wahnsinn zu treiben. Bea ließ sich auf eine kalte Polsterbank fallen, zog die Füße unter ihr Nachthemd (ein köstliches, duftiges Fabrikat aus Brüsseler Spitzen, das hübsch anzusehen war, jedoch kaum wärmte) und überlegte, wann ihr Leben derart aus den Fugen geraten war.
Die Gesellschaft hätte darauf, ohne zu zögern, geantwortet, dass es in dem Moment geschehen war, als Lady Ditcher ein Zimmer betrat und vor Schreck erstarrte, als sie eine der Töchter des Herzogs von Wintersall in den Armen eines Gentleman ertappte. Und schlimmer noch, man hatte die weißen Schenkel und violetten Seidenstrümpfe der jungen Dame sehen können. Das hatte Lady Ditcher vollends empört.
Die traurige Wahrheit war jedoch, dass die Probleme schon lange davor angefangen hatten. Nämlich als Bea fünfzehn war und sich in den Ersten Lakaien ihres Vaters verliebte. Es war ihr gleichgültig, dass Ned die dreißig bereits überschritten hatte. Sie betete ihn an. Leider hielt sie mit ihrer glühenden Verehrung nicht hinter dem Berg, und binnen kürzester Zeit wusste die ganze Familie Bescheid. Schließlich schickte ihr Vater den feschen Lakaien auf eines seiner fernen Landgüter. In Zorn geriet er deshalb noch lange nicht. Doch als er entdecken musste, dass seine Tochter dem Diener Briefe schrieb, lange, leidenschaftliche Briefe, und das Tag für Tag …
Und das war ihr großer Irrtum in Bezug auf Ned gewesen.
Denn Ned der Lakai hatte sie gar nicht haben wollen. Bea hatte sich ihm in ihrer knospenden Mädchenblüte und glühenden Liebe angeboten, und er hatte sie nicht gewollt. Es war ihm nicht einmal um seine Stellung gegangen, nein, Ned der Lakai war schlicht und ergreifend nicht interessiert gewesen. Nachdem Beas Vater ihn aufs Land geschickt hatte, beantwortete er keinen einzigen von Beas Briefen. Zunächst hatte sie sich einzureden versucht, Ned könne nicht lesen, doch später musste sie sich eingestehen, dass er einfach kein Interesse hatte. Ihm war sie nur lästig gewesen.
Seit jener Zeit schien sie einem Ned nach dem anderen nachgejagt zu sein … nur leider waren sämtliche Neds, die sie danach fand, von ihr begeistert und deshalb tödlich langweilig.
Bea krümmte ihre Zehen und schaukelte auf der kalten Bank vor und zurück. Sie war nicht das wollüstige Luder, für das ihr Vater sie hielt. Auch sie begehrte all das, was andere Frauen wollten: einen Ehemann, ein Kind, zwei Kinder, Liebe … Wahre Liebe, nicht die Art von Liebe, die man durch ein ausgestopftes Mieder einfangen konnte.
Du hast es vollkommen falsch angefangen, warf sie sich zornig vor. Und jetzt war es zu spät. Sie konnte nicht einfach Rouge Rouge sein lassen und schwören, nie mehr lästerliche Worte zu gebrauchen. Denn sie mochte sich, wie sie war. Nur, dass … sie sich manchmal sehr einsam fühlte.
»Ach, verflucht noch mal!«, rief Bea aus und rieb sich heftig die Nase, um nicht in Tränen auszubrechen. »Zur Hölle damit! Und zur Hölle mit Ned!«
Ein leises Geräusch ließ sie aufblicken, und da stand er in der Tür: Mr Lachender Liebhaber persönlich, ein hochgewachsener, breitschultriger und ungemein aristokratisch aussehender Mann. Jeder Zoll ein Gentleman,
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