Keine Lady ohne Tadel
Zwölfjährige«, sagte Stephen wegwerfend. »Die jüngeren Damen überlasse ich gerne Ihnen, Lord Bonnington. Ich finde junge Frauen ermüdend. Mich sprechen Frauen an, die wirklich Frauen sind.« Sorgfältig mied er jeden Blick in Beas Richtung. Falls er sich nicht sehr irrte, schimmerte die rosafarbene Spitze einer Brust durch die Spitze ihres Mieders hindurch. Wenn er noch einen Blick auf ihren Busen warf, dann würde er sie auf seinen Armen aus dem Salon tragen, und dann würden gewiss nicht
seine
Kleidungsstücke vom Leib gerissen.
Bea musste sich schwer beherrschen, um keine bissige Bemerkung zu machen. Wen anders als sie konnte Stephen mit den jüngeren Damen gemeint haben, die er so ermüdend fand? Und vermutlich erwartete er von ihr, dass sie mit Esme konkurrierte, aber wie sie das anstellen sollte, ohne ihr Korsett mit sämtlicher in Wiltshire befindlicher Baumwolle auszustopfen, konnte sie sich nicht vorstellen. Das Mindeste, was sie tun konnte, war, die wahre Liebe zu unterstützen.
»Lord Bonnington«, sagte sie unvermittelt. »Ich habe einen sehr guten Lyrikband mitgebracht. Und Sie hatten ja keine Gelegenheit, an unserer Lesung teilzunehmen. Hätten Sie vielleicht Interesse an dem Werk?«
»Ich wäre hocherfreut«, erwiderte er, erhob sich und machte einen eleganten Diener.
Bea wollte gar nicht wissen, was Stephen darüber denken würde. Vermutlich würde er ihr dankbar sein. Und da sie ihm obendrein Bonnington abnahm, würde er keine Konkurrenz mehr zu fürchten haben.
Schweigend schritten sie den Korridor entlang. Bea holte tief Luft und warf Lord Bonnington probeweise einen ihrer glühenden Blicke zu. Aber irgendetwas stimmte wohl nicht mit ihr, denn der Marquis ließ sich ebenso wenig beeindrucken wie Stephen. Bea blinzelte, um der aufsteigenden Tränen Herr zu werden. Konnte es sein … dass sie ihre Wirkung auf Männer verlor? Das war unvorstellbar. Denn was hatte sie sonst schon vorzuweisen?
Die Bibliothek lag nur ein paar Schritte vom Rosensalon entfernt. Sie war behaglich, nicht zu groß und von einem leicht muffigen und dennoch anheimelnden Geruch erfüllt. Bea lebte wieder ein wenig auf. Im Hause ihres Vaters war die Bibliothek einer der wenigen Orte gewesen, wo sie sich wohlgefühlt hatte.
Lord Bonnington schritt auf eines der hohen Bogenfenster zu, die auf den Garten hinausgingen. Bea folgte ihm. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass er nicht das kleinste bisschen Interesse an ihr zeigte. Vielleicht … war es im Korridor einfach zu dunkel gewesen. Vielleicht hatte er ihre Augen nicht erkennen können.
Den ganzen Tag über hatte es geregnet. Eine silbrige Nebelschicht schwebte über dem Garten und einem Geviert, in dem Bea den Rosengarten erkannte.
»Sie sind also der Ansicht, dass Lady Rawlings Mr Fairfax-Lacy heiraten sollte«, sagte Lord Bonnington unvermittelt, während er nach draußen blickte.
»Ich …«
»Und Sie haben mich hergebracht, um den beiden eine Atempause zu verschaffen.«
Bea schluckte. Sie konnte dem Marquis wohl kaum gestehen, dass sie es getan hatte, um Stephen Fairfax-Lacy eifersüchtig zu machen. Oder um ihm zu beweisen, dass sie immer noch begehrenswert war.
»Ich bin der Meinung, Lady Rawlings wäre glücklicher, wenn sie verheiratet wäre«, sagte sie mit Nachdruck.
»Mit ihm?«
Das klang so verächtlich, dass sie sich angespornt fühlte, Stephen zu verteidigen. »Es wäre ein großes Glück für sie, Mr Fairfax-Lacy zu bekommen!«
»Er ist ein Stockfisch«, behauptete Bonnington, der immer noch aus dem Fenster starrte.
»Nein, das ist er nicht. Er sieht recht gut aus, und er ist witzig und liebenswürdig. Und er … scheint sie zu lieben«, schloss Bea.
»Das tue ich auch.«
Was sollte sie dazu noch sagen? Sie stand neben ihm und spürte den kalten Windhauch, der durch die bleiverglasten Fenster hereindrang.
»Hat sie Ihnen etwa aufgetragen, sie von meiner Anwesenheit zu befreien? Hat sie Ihnen ein verstecktes Zeichen gegeben?«
»Nein, nein«, beteuerte Bea. »So war es überhaupt nicht! Ich wollte nur … ich dachte …«
Endlich drehte er sich um und sah sie aufmerksam an. »Wir sitzen also im selben Boot«, sagte er.
Bea konnte nicht fragen, was für ein Boot er meinte, denn sie fürchtete, es bereits zu wissen. »Das glaube ich nicht«, erwiderte sie hölzern.
»Wollen Sie mir etwa weismachen, dass Sie diesen korrekten Abgeordneten nicht heiraten wollen?« Er sprach in so ungläubigem Ton, dass sie trotzig den Kopf
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