Keine Macht den Doofen
auf
Währungsspekulationen spezialisiert sind. 41 Folglich wird nun mit europäischen Ersparnissen gegen europäische
Ersparnisse gewettet. Ein Schildbürgerstreich ersten Ranges, bei dem Sie sich
aussuchen dürfen, was Ihnen lieber ist: Wenn der Niedergang des Euros gestoppt
werden kann, fällt Ihre private Altersrente; misslingt das Vorhaben, steigt
Ihre Rente, aber der Euro ist kaum noch etwas wert.
Verrücktheiten dieser Art sind im Finanzgeschäft an der
Tagesordnung, genauer: Sie sind für dieses Geschäft konstitutiv .
Der 1999 verstorbene Börsenguru André Kostolany behauptete, schon an seinem
ersten Tag an der Pariser Börse das Grundrezept seines späteren Erfolgs erlernt
zu haben, nämlich dass die Kursentwicklung allein davon abhängt, »ob es mehr
Papiere als Dummköpfe oder mehr Dummköpfe als Papiere gibt«. 42 In der Tat funktionieren die Finanzmärkte
nach der Logik von Kettenbriefen, deren grundlegende Spielregel ebenso einfach
wie schwachsinnig ist: Finde den nächstgrößeren Deppen! Erfolgreich ist, wem es gelingt, einen Idioten zu finden, der noch mehr für ein
Papier bietet, das man selbst schon über Wert erworben hat. Noch erfolgreicher
freilich ist derjenige, der nicht nur den nächstgrößeren Deppen findet, sondern
auch noch zum richtigen Zeitpunkt darauf wettet, dass das miese »Finanzprodukt«,
das man ihm verkauft hat, seinen Wert verliert. 43 In der realen Wirtschaft würde eine solche
Geschäftsidee niemals aufgehen, aber von ihr hat sich das virtuelle Kettenbriefspiel
der Finanzmärkte längst entkoppelt.
Wie sehr die Real- und Finanzmärkte auseinanderdriften, zeigt eine
Gegenüberstellung der jeweiligen Volumen: So lag der Gesamtwert aller weltweit
produzierten Güter und Dienstleistungen 2010 bei 63 Billionen Dollar , das Volumen der Finanzderivate (der aus diesen Gütern
und Dienstleistungen auf höchst undurchsichtige Weise abgeleiteten Spekulationen
auf künftige Werte) jedoch schon bei sage und schreibe 601 Billionen Dollar , das Volumen der Devisengeschäfte (der Handel mit
Währungen) sogar bei 955 Billionen Dollar. 44 Angesichts dieses
Missverhältnisses muss man sich nicht darüber wundern, dass Investitionen in
die Produktion realer Güter und Dienstleistungen zunehmend unterbleiben. (In
den 1970er-Jahren wurden in Deutschland noch 15 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts in die Erweiterung oder Verbesserung der
Produktionskapazitäten investiert, in den 1990ern waren es noch 10 Prozent,
2010 lag der Anteil der Nettoanlageinvestitionen bei jämmerlichen 2,9 Prozent. 45 ) Warum auch sollten
Kapitalbesitzer in neue Techniken und Produkte investieren, warum sollten
Banken das mühsame Alltagsgeschäft der Kreditvergabe an Unternehmer betreiben,
wenn das Roulettespiel im virtuellen Finanzcasino weit höhere Gewinne abwirft?
Aus der Binnenlogik des Finanzsystems heraus ist diese Anlagestrategie völlig
rational, objektiv betrachtet handelt es sich jedoch um den größten
ökonomischen Schwachsinn aller Zeiten!
Denn wofür stehen die Gewinne und Verluste auf den Finanzmärkten,
wenn sie einzig und allein um sich selbst kreisen? Welche realen Werte sollen
die exorbitant gestiegenen Vermögen und Schulden noch repräsentieren? Fragen
Sie sich selbst: Gibt es etwas Hirnrissigeres als die Vorstellung, man könne realen Wohlstand dadurch erzeugen, dass
man fiktives Kapital in fiktives Kapital investiert statt in reale Güter und
Dienstleistungen ? Muss man wirklich in Erinnerung rufen, dass der
Werbespruch der Banken »Lassen Sie Ihr Geld arbeiten!« Blödsinn ist? Natürlich arbeitet Geld niemals, es sind immer reale Menschen, die
für Geld arbeiten, indem sie Güter und Dienstleistungen bereitstellen! Und genau in diesem Punkt beißt sich die auf »virtuelle Mäuse« spezialisierte
Finanzkatze in den eigenen Schwanz: Denn für welches Geld, bitte schön, sollen
die Menschen noch arbeiten, wenn ein Großteil des Kapitals in spekulative
Finanzprodukte fließt statt in reale Güter und Dienstleistungen?!
Wie jedes Kettenbriefsystem wird auch der Casinokapitalismus in sich
zusammenfallen, wenn die Diskrepanz zwischen Fiktion und
Realität zu groß ist, als dass man sich noch darüber hinweglügen könnte.
Es sieht so aus, als würden wir uns diesem Punkt allmählich annähern. Immer
mehr Menschen erkennen, dass die ins Unermessliche gestiegenen Geldvermögen
ebenso irrationale Größen sind wie die im gleichen Maße gestiegenen Schulden,
auf denen sie gründen. Wahrscheinlich
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