Keine Pizza für Commissario Luciani
an seinen Chef heran und wisperte: »Ich weiß, dass du nicht gern mit der Presse redest, wenn du willst, kümmere
ich mich darum.«
Der Kommissar schnaubte verdrossen. Es stimmte, er hasste es, mit der Presse zu reden, und als Giampieri noch da war, überließ
er fast immer ihm diese leidige Aufgabe. Aber seinem neuen Vize traute Luciani nicht über den Weg, und nun war der Moment
gekommen, ein paar Dinge klarzustellen. Eigentlich war das sogar die Gelegenheit, auf die der Kommissar schon lange gewartet
hatte.
»Okay«, sagte er, an die Reporter gerichtet, »aber nur zwei Minuten.«
Der Anruf war gegen neun Uhr morgens gekommen, fing er zu erzählen an. Ein Mann hatte den Notruf gewählt und gesagt, er habe
einen anderen Mann getötet. Er hatte die Adresse angegeben, unter der er sich befand, hatte sich in die Küche gesetzt und
auf die Polizei gewartet. Er trug noch seinen Regenmantel, die Pistole hatte er auf den Tisch gelegt. Die Leiche lag in der
Diele, hinter der halbgeöffneten Tür. Fünf Einschusslöcher in der Brust und eines im Unterleib. Der Täter war R. M., 48 Jahre,
Betreiber einer Bar in Rozzano.
|247| »Darf man den Namen nicht erfahren?«, fragte ein junger Journalist.
»Nein, den darf man nicht erfahren. Wir müssen die Tochter schützen. Fünfzehn Jahre alt, nennt sie Giulia, aber das ist nur
ein Phantasiename«, erläuterte der Kommissar. Das Opfer war Abdullah Kader, achtundzwanzig Jahre, albanischer Bauarbeiter,
der mit regulärer Aufenthaltserlaubnis in Italien lebte. Am vorletzten Samstag hatte Giulia gesagt, sie wolle auf die Geburtstagsfete
einer Freundin in Mailand gehen, in Wahrheit hatten sie gemeinsam eine Disko besucht, wo sie Kader und seine Freunde kennengelernt
hatten. Diese wirkten freundlich und nett. Sie spendierten den Mädchen ein paar Drinks, und gegen halb drei stiegen Giulia
und ihre Freundin zu ihnen ins Auto, um sich nach Hause fahren zu lassen. Aber kaum waren sie im Wagen, zückten die drei ihre
Messer, und für die Mädchen begann ein Martyrium. In der Wohnung von Kader – die Nachbarn wollten nichts gesehen und nichts
gehört haben – wurden sie bis in die Morgenstunden geschlagen, gedemütigt und vergewaltigt. Um zehn Uhr wurden sie auf die
Straße gesetzt, wobei man sie und ihre Familien mit dem Tod bedrohte, falls sie wagen würden, Anzeige zu erstatten.
Die Kollegen aus Mailand fanden die drei Männer sofort. Keiner von ihnen versuchte zu leugnen, aber alle drei behaupteten,
Giulia und die Freundin hätten freiwillig mitgemacht. Es sei ein normaler Abend in der Disko gewesen, sie hätten Gefallen
aneinander gefunden, und die Mädchen hätten eine Einladung in die Wohnung angenommen. Die Italienerinnen sind freizügig, hatten
sie gesagt, wobei dieses »freizügig« aus ihrem Mund wie »Flittchen« klang.
Nun kam der einzig erfreuliche Teil der Erzählung, das heißt die Abreibung, die sich die drei Vergewaltiger auf der Dienststelle
eingehandelt hatten, aber das musste Marco |248| Luciani für sich behalten. Solche Sachen durfte man Journalisten nicht erzählen.
Das alles war in der Vorwoche geschehen. Die Zeitungen hatten ein bisschen darüber berichtet, sich aber nicht besonders echauffiert.
Solche Sachen passierten nun einmal in einer Großstadt wie Mailand, zudem waren die Mädchen ziemlich unvorsichtig gewesen.
Sie hatten es zwar nicht darauf angelegt, aber auch nicht genug getan, um ihr Unglück zu verhindern.
Vor zwei Tagen waren die Albaner aus der Untersuchungshaft entlassen und lediglich unter Hausarrest gestellt worden, und das
hatten einige Zeitungen stärker aufgebauscht. Laut Untersuchungsrichter bestand keine Fluchtgefahr, weil die drei legal im
Land lebten, auch keine Rückfallgefahr, weil sie in ihren Wohnungen bleiben mussten. Was die Beweise anging, die waren evident
und im gerichtsmedizinischen Gutachten festgehalten, also bestand auch keine Verdunkelungsgefahr.
Kader konnte nicht in seine Wohnung zurück, weil sich vor seiner Haustür eine aufgebrachte Meute versammelt hatte. Freunde
der Mädchen waren darunter, ebenso die Nachbarn des Albaners, die Repressalien durch das Viertel fürchteten. Es sah so aus,
als müsste er zurück ins Gefängnis, da erbot sich ein betreutes Wohnprojekt aus Genua, ihn aufzunehmen. Sie stellten ihm ein
Mini-Appartement aus Schlafzimmer, Bad und Wohnzimmer mit Kochnische zur Verfügung.
Eben dort war der Vater des Mädchens an jenem Morgen
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