Keine Vergebung: Kriminalroman (German Edition)
der Herr ja ganz nett. Wart’s doch einfach ab.«
Grewe zuckte mit den Schultern.
»So nett wie du kann er natürlich nicht sein. Aber das Thema ist ja nun durch.«
»Ja, und lass es einfach dabei, okay?« Grewe fixierte seine Kaffeetasse.
Bernie sah durch die Scheibe. Die Fahrerin war hübsch, ungeschminkt. Blauer Blouson, bis oben geschlossen. Sie wirkte übermüdet. Eine Hand lag auf dem Steuer, die andere auf dem rechten Oberschenkel.
Der Beifahrer war schlank, athletisch. Sein Gesicht war knochig. Die Augen lagen tief in den Höhlen. Die linke Hand lag auf dem Oberschenkel, die rechte konnte Bernie nicht sehen, die war unsichtbar zwischen Sitz und Beifahrertür. Beide starrten nach vorne.
»Öffnen Sie bitte das Seitenfenster, allgemeine Verkehrskontrolle.«
Das hatte er jetzt zum zweiten Mal gesagt, aber es schien nicht im Wagen anzukommen. Bernie sah kurz zu Kim, sie stand optimal als Sicherung und war voll konzentriert. Ein leiser Anflug von Stolz wärmte Bernie. Er hatte eine gute Partnerin, vielleicht die beste der ganzen Direktion. Sie würde es weit bringen. Vielleicht war sie es, die ihn in fünfzehn Jahren als Leiterin der Bereitschaftspolizei der Stadt mit einer sentimentalen Rede in den Ruhestand schicken würde. Bernie lächelte leicht. Er zuckte kurz, als der Motor des Fensterhebers surrte. Na endlich.
Als er den Kopf drehte, schaute er in die Mündung einer Pistole.
Grewe saß auf der Toilette. Seine Eingeweide explodierten, kein Wunder nach dem Frühstück. Er hasste es, in dieser Situation unter Zeitdruck zu stehen. In zehn Minuten sollte er bei Gebhard Kertsch, dem Leiter der Kriminalpolizeiinspektion im Büro sitzen, um über dessen Nachfolger informiert zu werden. Man hatte sich den Termin an fünf Fingern ausrechnen können, ein deutscher Beamter ging pünktlich in den Ruhestand, aber Grewe hatte immer so getan, als würde Kertsch ewig Chef bleiben.
Nach dem Händewaschen rückte Grewe seine Krawatte zurecht, fuhr sich glättend über die Haare und schaute sich einen Moment selbst an, als wäre er ein Fremder.
»Feiges Arschloch«, murmelte er, und dann machte er sich auf den Weg.
Kim dachte noch, was sucht der Typ denn neben dem Sitz, da brüllte Bernie: »Schusswaffe!!«
Sie riss die Walther blitzschnell aus dem Holster, führte sie perfekt eng am Körper nach oben und vorn, die Linke schloss sich stabilisierend um die Rechte, Korn auf die Fahrerin, die musste Bernie ja meinen, exakt in der Kimme aufsitzen lassen, Druckpunkt nehmen. Bernies Kopf flog nach hinten, gleichzeitig knallte es. Kims Organismus geriet in einen Zustand, der ihr völlig fremd war, ein ohrenbetäubendes Rauschen, ein Zittern in jeder Faser. Sie zog den Abzug gleichmäßig durch, ließ den Schuss brechen. Ein Schlag traf sie gleichzeitig am Hals, es knallte wieder, und Kim wurde nach hinten umgerissen.
Auf der Straße liegend, hörte sie, wie eine Tür geöffnet wurde und jemand ausstieg. Jetzt würden sie ihr den Rest geben, ganz sicher. Kim musste weinen. Sie hörte die Schritte auf sich zukommen, dann gingen sie an ihr vorbei. Kim schloss die Augen, stellte sich tot. Tot. Nein, nicht. Noch nicht. Die Schritte kamen zurück, gingen wieder an ihr vorbei, stoppten für einen Moment, dann schlug die Tür wieder zu, die Fahrerin gab Gas. Kim dachte: »O Gott, nicht mich überfahren, bitte nicht überfahren.«
Mit aufheulendem Motor zog der Wagen knapp an ihr vorbei und raste davon.
Kim spürte, wie das Blut aus ihrem Hals sprudelte. Sie wollte die Blutung mit der Hand stoppen, aber sie war unfähig, sich zu rühren. Bernie würde ihr helfen, sie wollte nach ihm rufen, aber aus ihrem Mund kam nur ein Gurgeln. Was war mit Bernie? Bernie, ach Bernie. Dann dachte sie an ihre Eltern, ihren Bruder. Ihr wurde eiskalt vor Angst und Einsamkeit. Wenn sie sich wenigstens zu Bernie schleppen könnte, sich an Bernie kuscheln und nicht alleine sterben müsste auf dieser verdammten Straße. Sie starrte in den grauen Himmel, dünner Regen fiel auf ihr Gesicht und nahm die Tränen mit.
Mama, Papa, dachte sie. Steven. Es tut mir so leid.
2
M öchten Sie Kaffee?«
Kertsch griff schon nach der Kanne auf seinem Schreibtisch. Grewe schüttelte den Kopf.
»Nein, vielen Dank. Ich hab ein bisschen …« Er zeigte auf seine Magengegend.
»Wasser?«
»Ja, gerne. Danke.«
Kertsch reichte ihm das randvolle Glas. Grewe trank hastig etwas ab und verschluckte sich. Bei dem Versuch, das Husten zu unterdrücken und gleichzeitig
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