Keine Vergebung: Kriminalroman (German Edition)
da nirgends anrufen? Mal nachfragen? Ich weiß ja nicht. Das muss doch möglich sein für die Angehörigen.«
»Nein. Nicht, solange die noch draußen sind. Wenn ihm wirklich etwas passiert, dann kriegen wir sofort Bescheid, das geht wohl sehr, sehr schnell. Insofern ist klar, dass er lebt. Aber man will ja nicht daheimhocken und warten, dass die klingeln.«
Grewe sah Bernies Frau wieder vor sich. Sah, wie die Kaffeekanne zu Boden fiel, sah Evelyn weinen. Und dann schob sich Gerd Drossel ins Bild, seine Frau Dani. Ein Schauer lief über Grewes Rücken.
»Entschuldige Gerd. Ich weiß auch nicht, ich bin im Moment …«
Gerd Drossel winkte ab.
Drossel holte ein Käsebrötchen aus der Vitrine, dazu einen Joghurt. Grewe nahm sich einen Bagel mit Lachs, obwohl er gerade erst ein Stück Käsekuchen verputzt hatte.
»Also. Was ist mit der Nummer?«
»Erzähl ich dir am Tisch. Es ist ein richtiger Kracher.«
Sie kamen zur Kasse. Drossel orderte einen Kaffee, und Grewe nahm auch noch einen, obwohl er wusste, dass ihm davon übel werden würde. Sie zahlten und setzten sich an denselben Tisch, an dem Grewe mit Noss schon geredet hatte.
Drossel trank von seinem Kaffee, biss in das Brötchen.
»Der Anruf kam von einem Handy. Prepaid.«
Grewe verdrehte die Augen.
»Natürlich ohne Vertrag.«
Drossel lächelte.
»Nicht ganz. Die Karte gehört zu einem Kontingent, das eine Firma in Sankt Augustin gekauft hat. Insgesamt dreihundert Karten. Für die Mitarbeiter.«
»Heißt, die müssen jetzt rumsuchen, welche Mitarbeiterin diese Karte bekommen hat.«
»Im Prinzip ja. Aber das wird in dem Fall nicht gehen, weil es die Firma nicht mehr gibt.«
»So ein Dreck.«
Grewe schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Moment, Kurt. Wir haben die Auskunft heute früh bekommen, und ich hab Claudi gleich gebeten, sich dahinterzuklemmen. Sie war gut. Richtig gut. Sie hat rausgefunden, dass die Firma auf der Seite einer Abgeordneten des Bundestags erwähnt wird. Die Dame ist eine Legislaturperiode lang Mitglied im Innenausschuss gewesen und hat in dieser Funktion den Diensten ziemlich zugesetzt.«
Grewe verschluckte sich fast an seinem Kaffee.
»Geheimdiensten?«
Drossel nickte.
»Die Firma in Sankt Augustin ist eine Tarnfirma des Bundesamts für Verfassungsschutz gewesen. Und unter anderem haben sie die Mobilfunkkarten über den Laden bezogen.«
»Das heißt …«
Drossel sah Grewe an.
»Ja. Die Lady, die nicht bei Bernie und Kim bleiben wollte, aber uns so professionell unterrichtet hat, arbeitet vermutlich für den Verfassungsschutz in Köln.«
Der Alte schwieg. Sah den jungen Mann einfach nur an, während dieser die Unterlagen aus der schmalen Mappe holte, und hörte ihm zu.
»Ich habe intensiv nachgedacht. Über die Operation und ihren Verlauf. Über Jägers Auftauchen und Ihre Vermutungen. Das Bild wurde nicht scharf. Egal, wie ich die Teile zusammenzusetzen versuchte. Und es fehlten Teile.«
Jetzt lag alles auf dem Schreibtisch.
»Ich bin nicht zu Hause gewesen. Ich war im Archiv, die ganze Nacht.«
Der Alte hob eine Augenbraue. In seinen Mundwinkeln lauerte etwas. Ob es ein Lächeln oder Missbilligung sein würde, schien noch nicht entschieden.
»Ich habe die Akte Jäger gefunden. Und gelesen. Der Mann ist hochgefährlich, aber faszinierend. Die Operationen, an denen er beteiligt war, sind legendär, auch wenn fast niemand etwas über sie weiß. Aber was wirklich interessant ist …«
Der junge Mann lächelte den Alten an. Der lachte leise und glucksend, sah aus dem Fenster, schüttelte den Kopf und schaute dann seinen Mitarbeiter an.
»Sie wollen jetzt nicht diesen Satz sagen, oder?«
»Doch, das will ich. Wirklich interessant ist, was alles nicht in der Akte zu finden ist. Vor allem zu der Frage, wie Jägers Geschichte im Dienst zu Ende gegangen ist. Nichts. Die Akte endet mit der Operation ›Boss‹.«
Der Alte kniff seine Augen zu Schlitzen zusammen.
»Diese Sache ist kein Ruhmesblatt unserer Geschichte, das dürften Sie genauso sehen. Und Jäger hat an dem Desaster nicht unerhebliche Schuld.«
Der junge Mann spürte, dass er nah beim Kern der Sache war. Der Alte zeigte Emotion. Kaum merklich. Aber er kannte ihn jetzt schon lange genug.
»Man könnte aber auch sagen, dass Jäger absichtlich im Unklaren gehalten wurde damals. Er wusste nicht, dass Redczyk für den BND arbeitete.«
Der Alte zuckte mit den Schultern.
»Er hätte ihn nicht erschießen dürfen. Egal, ob Redczyk nun Terrorist oder Agent war.
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