Keine Vergebung: Kriminalroman (German Edition)
trank.
»Aber so ist das immer. Auf uns will keiner hören. Ihr Politklugscheißer wisst immer alles besser. Ich hab Leute verbluten sehen. Ich hab abgesprengte Gliedmaßen zur Seite gelegt und die Stümpfe versorgt, während das Blut nur so gespritzt ist.« Er schüttelte den Kopf. »Aber ein fettes Schreibtischschwein wie du wird immer denken, dass es mehr vom Leben versteht als ein stumpfer Soldat.«
Gandalfs Stimme war leise und ruhig. Und Schwankwitz hatte schon genug über den Mann in seinem Wohnzimmer gelernt, um zu wissen, dass das wirklich kein gutes Zeichen sein musste. Was ihn am meisten erschreckt hatte, war, dass Gandalfs Gesicht keinerlei Wut oder Aggression gezeigt hatte, während er ihn verprügelte. Es war einfach etwas gewesen, was zu erledigen war. Zweckgebunden, zielgerichtet. Es machte ihm nicht das Geringste aus, und mit demselben unbeteiligten Gesichtsausdruck würde dieser Mann ihn auch erschießen. Oder totprügeln. Oder ihm das Genick brechen.
Ihn foltern. Ihm die Eier abreißen mit einer Zange. Eine Stricknadel in sein Ohr bohren, bis ins Gehirn. Schwankwitz wäre noch vor ein paar Stunden gar nicht auf die Idee gekommen, dass man so etwas machte. Aber jetzt sah er andauernd solche Bilder.
Ihm war auf einmal die Partei egal. Die Bewegung. Die nationale Revolution. Seine Sammlung von Wehrmachtsdevotionalien und SS -Spielsachen. Dass seine erwachsenen Kinder nicht mehr mit ihm redeten und seine Frau abgehauen war. Das Scheißattentat. Die zwei Irren. Alles.
Er wollte das hier nur lebend überstehen.
»Ich nehme an, er hat gesagt, dass er zurückruft?«
Schwankwitz nickte. Und bekam sofort einen trockenen Hals vor Angst.
Gandalf lachte kurz und staubig.
»Klar. Der muss auch vor jedem Klogang den Papi fragen. Soll er mal.«
Gandalf trank den Rest Wasser aus der Flasche. Streckte seine Arme und Beine. Den Rücken.
»Wir werden kriegen, was du von ihm verlangt hast. Die werden das Ding bis zum Ende durchziehen wollen. Jetzt, wo sie so kurz vor einem Erfolg stehen.«
Gandalf ging ein paar Schritte, lockerte die Beine. Dann nahm er das Telefon vom Tisch und ging an die Basisstation. Drückte ein paar Tasten und rief dann ins Wohnzimmer.
»Wir fahren jetzt los.«
Schwankwitz unterdrückte ein Stöhnen und stand auf.
»Wohin?«
»Erst zu den beiden. Dann sehen wir mal, was Köln sagt. Und für danach hab ich so eine Idee.«
Schwankwitz stand mit hängenden Armen im Flur.
»Aber wenn die anrufen …?«
Gandalf nahm eine hässliche graue Jacke vom Haken und warf sie Schwankwitz zu.
»Ich habe eine Rufweiterleitung auf mein Handy eingerichtet. Mann, Schwankwitz. Ist das die neue Rechte? Na bravo.«
Gandalf öffnete die Haustür einen Spalt und schaute raus. Dann schloss er sie wieder.
»Wir gehen hinten raus, so wie ich hergekommen bin. Wir fahren mit meinem Auto.«
Schwankwitz stand da, als wäre er festgewachsen.
»Muss ich dich hinter mir herschleifen?«
Schwankwitz schüttelte den Kopf und riss sich los.
Zum ersten Mal in seinem Leben dachte er daran, einen Abschiedsbrief zu schreiben. Bloß: an wen?
Der junge Mann sah noch einen Augenblick auf das Handy, dann steckte er es wieder in die Tasche. Der Alte hatte ihnen beiden Kaffee eingegossen und blickte ihn ein wenig spöttisch an.
»Sind Sie aus dem Konzept?«
Der junge Mann schloss kurz die Augen. Dann lachte er klein und leise.
»Vielleicht sind wir alle aus dem Konzept.« Er nahm sich die Tasse und trank einen Schluck. »Das war Schwankwitz.«
Der Alte winkte ab.
»Hab ich mitbekommen. Was hat er für großartige Neuigkeiten?« Sein Ton ließ keinen Zweifel, dass er von Schwankwitz nichts hielt. Das taten beide Männer nicht, von V-Leuten konnte man nie etwas halten. Sie waren Verräter für Geld und Aufmerksamkeit. Es war nicht schwer, die Richtigen anzusprechen. Sie mussten an Stellen von Organisationen sitzen, die ihnen Zugang zu möglichst vielen Informationen garantierten, und die passende Persönlichkeitsstruktur haben. Geltungsdrang, Gier, Machtfantasien. Und in all diesen Bedürfnissen frustriert sein. Das Gefühl haben, nicht zu bekommen, was ihnen zustand. Dann hatte man sie im Handumdrehen am Haken. Oft kamen diese Figuren sogar von selbst an. Erstaunlich war nur, wie selten ihr Umfeld das alles sah.
Wobei man ehrlich zugeben musste, dass es schließlich auch in den Diensten immer wieder solche Typen gab. Und leider auch immer wieder zu spät entdeckt wurden.
»Die beiden haben in der Stadt eine Bank
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