Keine Vergebung: Kriminalroman (German Edition)
reinsetzen. Und das wäre so kurz vor dem Erfolg wirklich dramatisch.«
»Hm.« Mehr sagte der Alte dazu nicht.
»Wenn es Jäger ist – und ich habe keinen vernünftigen Zweifel daran –, dann wird es ganz und gar unwägbar, wohin die ganze Aktion eigentlich zielt.« Er wartete auf eine Reaktion des Alten. Der hob nur den Zeigefinger seiner rechten Hand, die auf dem Schreibtisch lag, als Zeichen, dass er zuhörte. »Vielleicht geht es Jäger gar nicht um den Anschlag beziehungsweise nicht nur um den Anschlag.«
Jetzt gelang es dem Alten nicht mehr, die unbeteiligte Distanz des alten Profis zu demonstrieren. Der junge Mann hatte ganz sein Ohr.
»Wie schon gesagt. Ich habe viele Akten gelesen heute Nacht. Und eine davon trug den Namen Ihrer Frau.«
»Ach?«
Das klang nicht interessiert, sondern höchst alarmiert. Der Mann auf der anderen Seite des Tisches war am Rand der Klippe. Fast tat es dem jungen Mann leid. Es fühlte sich wie ein Vatermord an.
»Jäger hat sie umgebracht, sagt die Akte. In Ihrem Haus. Aber das ist nie bei der Polizei angekommen. Dort gilt der Fall als immer noch ungeklärte Tat der dritten Generation RAF . Die Frau eines der wichtigsten Terroristenjäger der Republik wird von Terroristen ermordet. Der Tatort ließ kaum einen anderen Schluss zu, weil Jäger ihn genau so hergerichtet hat.« Er beugte sich vor. »Und Jägers Verschwinden hat auch dabei geholfen, den Täter im Dunkeln zu lassen. In den Akten wird er als tot geführt. Irgendwo im Jemen soll er ums Leben gekommen sein.«
Der junge Mann nahm sich frischen Kaffee.
»Sie auch?« Das war geschmacklos, aber er konnte nicht widerstehen. Rührte etwas Zucker in den Kaffee, was er sonst strikt vermied. Er wollte ein wenig feiern. Der Alte war blass vor Wut. Aber er sagte nichts.
»Tja. Und jetzt ist Jäger wieder da. Da fragt man sich doch, warum? Ein erfolgreich abgetauchter Mörder kommt im Zuge einer komplexen geheimdienstlichen Operation wieder ans Tageslicht. Nun ist es ja kein Geheimnis, dass Sie das Referat Rechtsextremismus leiten. Das kann jeder auf der Website der Behörde nachlesen. Ein Anschlag dieser Größenordnung … das weiß Jäger nun besser als die meisten, dass die Rechte so was kaum hinkriegt, ohne dass wir davon Wind kriegen.«
»Kommen Sie zum Schluss. Ich fange doch an, mich zu langweilen.«
Der junge Mann lächelte.
»Er will Sie. Alles andere ist … kollateral, würde ich sagen. Natürlich folgt daraus dann sofort die Frage: Warum? Was ist das zwischen Ihnen und ihm? Warum hat er überhaupt Ihre Frau getötet?« Er rührte noch mal den Zucker um, der sich wieder unten abgesetzt hatte, und hob die Tasse. »Wenn er sie überhaupt getötet hat. Ich halte das nicht für sehr wahrscheinlich.« Er trank die Tasse genüsslich aus. Stellte sie wieder ab. Sah den Alten an. Der war jetzt grau. Eisgrau. Starrte sein Gegenüber an. Ein Schauer durchlief den Körper des jungen Mannes. So musste man sich bei der Jagd unmittelbar vorm Schuss fühlen.
»Man glaubt es ja kaum, aber es gibt einen Dienstreisebeleg. Am Ende des Tages sind wir eben nichts anderes als eine Behörde. Jäger ist vier Tage vor dem Mord an Ihrer Frau mit einer Maschine der Air France nach Riad geflogen. Den Antrag haben Sie genehmigt. Und seitdem hat der Dienst offiziell nie wieder etwas von Jäger gehört.«
Der Alte sah aus dem Fenster.
»Er kann doch einfach wieder zurückgeflogen sein.«
Der Junge schüttelte den Kopf.
»Kann er nicht. Weil das Auto, in das er am Flughafen gestiegen ist und von dem er annahm, dass es ein Fahrzeug unserer Botschaft sei, in Wirklichkeit ein Auto der CIA war. Und die US -Kollegen haben Ihnen persönlich einen ausführlichen Bericht geschickt. Es las sich ziemlich hässlich, was die mit Jäger veranstaltet haben, bevor er eine Woche später mit etwas Handgeld die Grenze zum Jemen überschreiten durfte. Man fragt sich, warum Sie ihn nicht einfach haben umlegen lassen.«
Der Alte lachte bitter.
»Weil es für Jäger kein Problem gewesen wäre zu sterben. Ganz einfach.«
Der junge Mann zuckte mit den Schultern. Er griff nach dem Telefon des Alten.
»Ich lasse die Observation ab sofort wieder eng laufen. Und in den nächsten Tagen bringe ich unsere Leute in die Gruppe. Es stört Sie doch nicht, wenn ich von Ihrem Apparat aus anrufe?«
Natürlich störte es den Alten. Das war ja das Schöne daran.
»Wir müssen eine offizielle Anfrage an den Verfassungsschutz stellen. So schnell wie möglich.«
Grewe
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