Keine Vergebung: Kriminalroman (German Edition)
vergessen, wer er eigentlich war und für wen er arbeitete. Dass er sie alle kriegen wollte. Zur Strecke bringen für den Staat. Und dann hatte der Staat einfach alles abgeblasen. Weil kein Schwein mehr wusste, wer eigentlich noch wirklich die Flamme der Weltrevolution am Brennen hielt und wer nur vom Dienst dafür bezahlt wurde, in die Asche zu blasen. Gandalf war zusammengeklappt. Zum ersten Mal in seinem Leben. Und der Alte und Brigitte hatten ihn bei sich aufgenommen. Das hatten sie schon seit ein paar Jahren hin und wieder getan, wenn er für eine Weile aus dem Spiel genommen wurde.
»Jetzt seid doch nicht schüchtern. Näher zusammen ihr beiden, wie sieht das Foto denn sonst aus? Na also, geht doch. Käsekuchen.«
Und dann hatte der Alte den Auslöser gedrückt, die Kamera noch einen Moment vor dem Auge behalten und dann langsam sinken lassen und sie beide fassungslos angestarrt.
Eine Woche später hatte Gandalf seine Sachen gepackt und war in ein billiges Hotel gezogen. Es hatte keinen Streit gegeben, es war einfach klar gewesen. Zum Abschied gab der Alte ihm das Foto und zischte: »Lass dich nie wieder in ihrer Nähe blicken.«
Gandalf hatte das Bild eingesteckt und es erst im Taxi angeschaut.
Ja. Sie hatten es nach all den Jahren nicht mehr verbergen können, er und Brigitte. Obwohl sie sich nicht ansahen, sondern beide schüchtern ins Objektiv blickten, konnte jeder Trottel erkennen, dass sie sich liebten. Der Alte war kein Trottel.
Zwei Monate später krachte in einem Keller in Riad die Faust des Kaugummi kauenden CIA -Mannes in Gandalfs Gesicht. Als er sich eine Woche danach mit brüllenden Schmerzen über die Grenze zum Jemen schleppte, war Brigitte schon tot.
Gandalfs Arm wurde schwer. Er hielt noch immer die Waffe gegen Celiks Stirn, und er verkrampfte, weil er sich nicht konzentrierte. Entweder hatte Celik es nicht bemerkt oder seine Chancen trotz allem als noch nicht hoch genug eingeschätzt.
Verdammt.
So etwas durfte ihm nicht passieren. Er war einfach müde. Er war eine lange Strecke gelaufen. Elend lang. Er musste von der Strecke. Ausruhen. Es war nie klar gewesen, wo und wann der Lauf enden sollte, wo das Ziel war. Man musste immer mehrere Ziele haben. Eines von Gandalfs Zielen war nah. Er konnte heute noch ankommen. Und dann …
Malaga. Und später vielleicht …
Santiago. Oder Buenos Aires. Das hatte er vor dem Dienst immer verborgen, dass er Spanisch lernte. Verrückt. Das wollte er für sich alleine haben. Wie seinen Namen. Gandalf.
»Schwankwitz, fessel sie, aber gründlich.« Gandalf zog mit der Linken eine Rolle festes grünes Tape aus einer der Taschen seiner Weste und hielt sie Schwankwitz hin.
»Dort auf den Sessel. Tape die Hände auf den Armlehnen fest und die Beine unten. Los.«
Aydan Celik setzte sich. Schwankwitz ging auf die Knie, mit weit offenem Mund, und machte sich keuchend an die Arbeit.
Fuchs und Claudi hatten hinter der Jagdhütte Position bezogen. Wetschinsky und Bogdan waren noch weiter gelaufen und sicherten rechts des Gebäudes. Wetschinsky hinten, Bogdan fast schon vorne.
Noss hockte links hinten im Unterholz, Therese mittig und Grewe mit Estanza und Merten so, dass sie den Vordereingang voll im Blick hatten. Vor der Hütte stand ein Audi A1, silbermetallic mit Hochsauerlandkreis-Kennzeichen; das konnte man im Schein des Lichts im Erdgeschoss gut sehen.
Grewe hob das Walkie, um leise Kellermann Bescheid zu geben, der am Funk in Noss’ Fahrzeug geblieben war. Da wurde die Tür des Gebäudes geöffnet, und eine Frau und ein Mann kamen heraus.
Sie blieben stehen und redeten, aber Grewe und seine Kollegen waren zu weit weg, um etwas zu verstehen.
Grewe ließ in rasender Geschwindigkeit die Möglichkeiten vor seinem geistigen Auge ablaufen. Wenn die beiden jetzt losfahren würden, würden sie sie wahrscheinlich verlieren. Wo das MEK jetzt war, wusste er nicht. Sie jetzt sofort festzunehmen konnte riskant sein. Der einzig mögliche Moment war, wenn sie gerade eingestiegen waren. Dann aber musste es sehr schnell gehen. Grewe beugte sich zu Estanza, um ihm schnell seinen Entschluss mitzuteilen. Tony war der Fitteste von ihnen, Grewe würde, so schnell er konnte, folgen, und die anderen würden alles absichern.
Die beiden vor der Jagdhütte bewegten sich jetzt tatsächlich Richtung Auto. Estanza lehnte sich Grewe entgegen, damit der möglichst leise sprechen konnte.
Die Frau und der Mann waren jetzt fast beim Fahrzeug angekommen. Er ging hintenherum, sie
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