Keine Zeit für Vampire
wieder. Der gleichmäßige Rhythmus erinnerte ihn an das Schwappen des Meeres, das er einmal an einem Strand in Südfrankreich erlebt hatte. Die Töne schlugen sanft gegen sein Bewusstsein, das orientierungslos in einem Ozean aus Taubheit dahintrieb.
Warum hörten die Stimmen bloß nicht auf, in zu necken? Dann könnte er sich endlich völlig entspannen. Aber halt, da stimmte etwas nicht. Er durfte sich nicht entspannen, nicht, wenn Gefahr drohte. Gefahr für … »Io!«, keuchte er laut und sprang auf. Dabei war ihm gar nicht bewusst, dass er die ganze Zeit auf einem kalten Steinfußboden gelegen hatte. Wo bist du, Herzchen?
Doch es erklang keine Stimme in seinem Kopf, die ihm antwortete. Er konnte ihre Gegenwart nicht spüren, ihre Wärme und all das, was sie ausmachte und an das er sich schon so sehr gewöhnt hatte. Io? Geht es dir gut?
Er verfluchte wortlos das Schweigen, das ihm antwortete. Dann taxierte er eilig seine Umgebung. Er schien sich in einer Art klösterlichen Zelle zu befinden. Der Raum war beengt und ganz oben unter der Decke konnte er ein schmales Fensterchen ausmachen. Möbel gab es keine, sondern nur das Fenster und die Tür.
Er eilte zur Tür und versuchte, sie aufzureißen. Sie war verschlossen und widersetzte sich standhaft seinen Bemühungen.
Quälende Erinnerungen stiegen in ihm auf, an einen seltsamen, lispelnden Mann, der eine merkwürdig geformte Pistole auf ihn und Io richtete. Das Schlimmste war, dass er befürchten musste, dass ihr etwas zugestoßen war, obwohl er sie eigentlich hätte beschützen sollen. Hab keine Angst, meine Liebe, ich werde dich finden. Und falls sie dir etwas angetan haben sollten, dann werde ich persönlich dafür sorgen, dass der Hurensohn, der es gewagt hat, dich zu berühren, einen langen und schmerzhaften Tod sterben wird.
Er rüttelte noch einige Male erfolglos an der Tür und ging dann etwa eine Viertelstunde lang in seiner Zelle auf und ab. Er stand kurz davor, dem Drang nachzugeben, laut und ausgiebig seine Dummheit zu verfluchen, dass er Io in Gefahr gebracht hatte, als der analytische Teil seines Verstandes, der sich regelmäßig heiße Debatten mit dem eher frivolen Teil lieferte, ihn bedrängte, sich die Tür noch einmal anzusehen.
Sie bestand aus massivem Holz, höchstwahrscheinlich Eichenholz, und die Türbänder waren aus Eisen. Nikola fixierte mit zusammengekniffenen Augen das Schloss und den runden Türknauf.
Sie kamen ihm bekannt vor. Ungemein bekannt sogar. Sie sahen genauso aus wie die, mit denen eine Reihe von kleinen Räumen ausgestattet war, die sich in den finsteren Kellern seiner eigenen Burg befanden. Sie dienten als Lagerräume, waren vollgestopft mit defektem Mobiliar und ausrangierten Alltagsgegenständen, und einer diente als Weinkeller, der der ganze Stolz seines Vaters gewesen war.
Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Tausend Dank für dein Geschenk, Io. Damit zog er den kleinen, flachen Gegenstand aus der Tasche, den Io ihm vorhin beim Verlassen des Hotels zugesteckt hatte. Sie hatte ihn beim Herrenausstatter erstanden, bei dem sie auch seine Anziehsachen gekauft hatte. »Das ist eine Art Survival Pack. Es beinhaltet ein winzig kleines Messer, einen Schraubenzieher, eine Pinzette und noch eine ganze Menge anderer kleiner, praktischer Dinge. Ich fand, es sah irgendwie wissenschaftlich aus, und deshalb dachte ich, dass es dir vielleicht gefallen würde.«
Es gefällt mir tatsächlich, ließ er sie in Gedanken wissen, auch wenn sie ihn wahrscheinlich nicht hören konnte. Er untersuchte das flache Objekt, das etwa halb so groß wie sein Handteller war, und zog dann ein langes, dünnes Werkzeug hervor. Sieben Minuten später hatte er das uralte Schloss auseinandergeschraubt und die Tür zu seiner Zelle geöffnet. Genau wie sein Keller zu Hause war auch der Raum, den er nun betrat, spärlich erleuchtet. Eine Leuchtkugel über ihm spendete Licht.
»Das ist eine Glühbirne und keine Leuchtkugel«, verbesserte er sich, denn so hatte Io das Objekt bezeichnet, das Licht aus dem Nichts erschuf. Diese Birne baumelte an einer Schnur, die sich in wilden Windungen unter der Decke entlangschlängelte und schließlich in der gegenüberliegenden Wand verschwand.
Als er sich umsah, bemerkte er einen schmalen Gang, von dem mehrere Türen abgingen. Es schien niemand außer ihm hier zu sein, und so konnte er der Versuchung nicht widerstehen, eine der Türen zur öffnen, um zu untersuchen, was sich wohl dahinter befand. Doch die Tür war
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