Keine Zeit für Vampire
traten.
Am Tag hatte er darauf achten müssen, sich im Schatten zu halten, aber nun, da die Sonne unterging, konnte er sich unter das Gedränge der Menschen mischen, die aus der Stadt strömten – entweder zu Fuß oder in ihren metallenen Gefährten, von denen ihm Io vorhin berichtet hatte und über die er unbedingt eine wissenschaftliche Studie anfertigen wollte – und zu dem Feld außerhalb strebten, wo er bereits die farbenfrohen Zelte und kleinen, länglichen Gebäude des Jahrmarktes ausmachen konnte.
»Vergiss nicht, dass wir dich als Cousin von Imogen und Ben ausgeben wollen«, ermahnte ihn Io. Sie standen vor einem hölzernen Verschlag, der die Aufschrift »Eintrittskarten« trug. Io erklärte ihm, welche Banknoten er benötigen würde, um die Karten zu erstehen. »Ich weiß, dass dir das nicht recht ist, aber es gibt keine andere Möglichkeit, wie wir sonst deine Anwesenheit erklären könnten.«
»Ich sehe jetzt aber älter aus«, warf er ein.
»Ja, zumindest ein bisschen. Jedenfalls genug, damit ich mir nicht vorkomme, als würde ich mich an einem viel zu jungen Mann vergreifen, aber immer noch nicht alt genug, um Kinder in Imogens und Bens Alter haben zu können. Hallo! Zwei Erwachsene, bitte.«
Nikola folgte Io auf das Jahrmarktsgelände und ließ dort seinen Blick schweifen. »Was eine Tätowierung ist, weiß ich. Aber wozu ist Piercing gut?«, erkundigte er sich bei Io.
Io versuchte, ihn von dem Verkaufsstand mit den faszinierenden Abbildungen fortzuziehen. »Das willst du nicht wissen.«
Doch er ließ sich nicht fortbewegen. »Ganz im Gegenteil, das möchte ich unbedingt. Ich bin Wissenschaftler und darüber hinaus auch noch Abenteurer. Das hast du selbst gesagt. Ich muss meine Erlebnisse und Eindrücke genau aufzeichnen, aber das ist mir nicht möglich, wenn du mir die interessantesten vorenthältst.«
Sie gab ihre Bemühungen, ihn von der Bude wegzuzerren, auf und wies mit einer resignierten Geste zum Zelteingang: »Wenn es unbedingt sein muss, dann geh eben hinein und sieh es dir selbst an. Ich will dir bei deiner Abenteuerlust und deinem Wissensdurst nicht im Weg stehen.«
Du grinst, sagte er beim Betreten des engen Zelts. Im Inneren konnte er einen seltsamen Kippstuhl und mehrere Tische ausmachen. Eine Frau, die ihre Augen mit schwarzem Lidschatten umrandet hatte, sah von einer Zeitschrift auf, in der sie gerade las. Du weißt wohl etwas, das du mir nicht verrätst. Was ist das ?
Nein, nein, ich möchte nicht deine wissenschaftlichen Studien über Piercings und die moderne Gesellschaft zunichte machen. Das musst du schon selbst herausfinden.
»Kann ich Ihnen helfen, Sir?«, erkundigte sich die Dame und stand auf. Seltsame Metallteile steckten in ihrer Nase, ihren Augenbrauen und ihrer Unterlippe. Er starrte sie unverhohlen an, bis ihm auffiel, dass sie ihn seltsam ansah.
»Mein Weib wartet draußen«, ließ er sie wissen. »An einer erotischen Zusammenkunft mit Euch bin ich darum nicht interessiert.«
Sie stockte kurz und schürzte dann die Lippen. »Ihr Pech. Wünschen Sie eine Tätowierung? Oder ein Piercing?«, fragte sie und glotzte dabei schamlos den Hosenschlitz seiner Kniehose an. »Könnte ich Sie eventuell für ein Prinz Albert begeistern, Sir?«
»Ich bin Baron, kein Prinz, und außerdem heiße ich Nikola und nicht Albert«, stellte er richtig.
Die Frau grinste. »Als Prinz Albert bezeichnet man ein Piercing. Dabei wird ein kleines, hantelförmiges Metallstäbchen in ihren Penis eingeführt. Ich kann Ihnen versichern, dass es Ihrer Partnerin sehr viel Vergnügen bereiten wird. Wenn Sie Ihre Jeans ausziehen würden, könnte ich beurteilen, welche Größe sie benötigen.«
Er starrte die Frau entgeistert an, wandte sich dann auf dem Absatz um und verließ das Zelt. Als Io draußen sein Gesicht sah, konnte sie ihr Lachen kaum verbergen.
Er ignorierte es geflissentlich und meinte nur: »Von der Erfindung des Bikinis einmal abgesehen, finde ich deine Epoche teilweise schon sehr dubios, Io.«
Jetzt lachte sie laut auf. »In puncto Piercings stimme ich dir vollkommen zu. Die Frau, der diese Bude gehört, hat versucht, mich dazu zu überreden, mir meine Brustwarzen tätowieren zu lassen. Ich wage gar nicht daran zu denken, was sie dir wohl antun wollte.«
»Das willst du nicht wissen.«
»Dann lass uns weitergehen … Vorausgesetzt, du hast deine Studien über Körpermodifikationen abgeschlossen. Imogens Stand befindet sich ganz am Ende des rechten Gangs. Nikola, du musst
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