Keine zweite Chance
jemand einen Anwalt will«, sagte ich, »lässt du ihn mit mir allein.«
Rachel glotzte mich an. »Ist das dein Ernst?«
»Wir reden über das Leben meiner Tochter.«
»Inzwischen reden wir über das Leben vieler Kinder, Marc. Diese Leute kaufen Babys. Wir müssen ihnen das Handwerk legen.«
»Und was sollen wir deiner Meinung nach tun?«
»Wir rufen den Piepser an. Wie du vorgeschlagen hast. Aber Tatiana muss mit ihnen reden, damit jemand herkommt, der sie untersucht. Wir sehen das Autokennzeichen. Wenn er wieder fährt, verfolgen wir ihn und stellen fest, wer er ist.«
»Das kapier ich nicht«, sagte ich. »Warum kann Katarina nicht anrufen?«
»Weil der, der dann kommt, doch wohl die Person untersuchen will, mit der er telefoniert hat. Katarinas und Tatianas Stimmen klingen vollkommen verschieden. Dann merkt er, dass hier was faul ist.«
»Aber warum so kompliziert? Wir haben ihn hier direkt vor unserer Nase. Warum sollen wir das Risiko eingehen, ihn wieder wegfahren zu lassen?«
Rachel schloss kurz die Augen. Dann sagte sie: »Marc, überleg doch mal. Wenn die merken, dass wir hinter ihnen her sind, was werden sie dann machen?«
Ich schwieg.
»Und eins will ich noch klarstellen. Es geht jetzt nicht mehr nur um Tara. Wir müssen diese Typen zur Strecke bringen.«
»Und wenn wir uns hier einfach auf sie stürzen, sind sie gewarnt.«
»Genau.«
Für mich war das Nebensache. Ich wollte nur Tara wiederhaben. Wenn die Cops oder das FBI diese Kerle vor Gericht bringen wollten, war ich ganz auf ihrer Seite. Aber im Grunde interessierte es mich nicht.
Katarina erläuterte Tatiana unseren Plan. Ich merkte, dass sie nicht darauf ansprang. Das junge Mädchen war wie versteinert vor Angst. Immer wieder schüttelte sie abweisend den Kopf. Die Zeit verging – Zeit, die wir wirklich nicht hatten. Ich rastete aus und tat etwas ziemlich Dummes. Ich nahm den Telefonhörer ab, wählte die Piepser-Nummer und drückte vier Mal die Neun. Tatiana erstarrte.
»Mach schon«, sagte ich.
Katarina übersetzte.
Die nächsten zwei Minuten sagte keiner etwas. Wir starrten Tatiana nur an. Als das Telefon klingelte, gefiel mir der Ausdruck
in den Augen des jungen Mädchens überhaupt nicht. Katarina redete mit eindringlicher Stimme auf sie ein. Tatiana schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme. Das Telefon klingelte zum dritten Mal. Dann zum vierten.
Ich zog meine Pistole.
Rachel sagte: »Marc?«
Ich hielt die Waffe in der Hand. »Weiß sie, dass es um das Leben meiner Tochter geht?«
Katarina stieß einen serbokroatischen Wortschwall hervor. Ich sah Tatiana fest in die Augen. Sie reagierte nicht. Ich hob die Pistole und drückte ab. Die Lampe explodierte und der Schuss hallte durchs Zimmer. Alle zuckten zusammen. Noch so eine Dummheit. Das war mir klar. Ich glaube allerdings, in diesem Moment war es mir egal.
»Marc!«
Rachel legte mir die Hand auf den Arm. Ich schüttelte sie ab. Ich sah Katarina an. »Sag ihr, wenn die auflegen …«
Ich führte den Satz nicht zu Ende. Katarina sprach hastig mit Tatiana. Ich hatte die Hand wieder gesenkt, umklammerte die Pistole aber immer noch. Tatiana hatte den Blick immer noch auf mich geheftet. Schweiß sammelte sich auf meiner Stirn. Ich begann zu zittern. Als Tatiana das sah, wurde ihre Miene weicher.
»Bitte«, sagte ich.
Beim sechsten Klingeln nahm Tatiana den Hörer ab und fing an zu sprechen.
Ich sah Katarina an. Sie lauschte dem Gespräch und nickte mir dann zu. Ich ging wieder auf die andere Seite des Zimmers hinüber. Die Pistole hatte ich immer noch in der Hand. Rachel starrte mich an. Aber ich hielt ihrem Blick stand.
Rachel blinzelte als Erste.
Wir parkten den Camaro vor dem Restaurant nebenan und warteten.
Wir sagten nicht viel und schauten überall hin, um uns nicht ansehen zu müssen, wie Fremde in einem Fahrstuhl. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wusste nicht einmal, wie mir zumute war. Ich hatte Schüsse abgefeuert und war ziemlich nah daran gewesen, einen Teenager zu bedrohen. Schlimmer noch, ich glaube nicht einmal, dass mir das etwas ausmachte. Die Auswirkungen, sofern es überhaupt welche geben würde, waren weit weg, ferne dunkle Wolken, die langsam über uns aufzogen, sich jedoch ebenso gut auch wieder verziehen konnten.
Ich schaltete das Radio ein und suchte den lokalen Nachrichtensender. Fast rechnete ich damit, dass jemand sagte: Wir unterbrechen das Programm für eine dringende Fahndungsmeldung , dann unsere Namen nannte,
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