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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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unserem Torschützen Craig (oder sollte ich Craigy sagen?) eilte, um ihn zu beglückwünschen. Die Spieler folgten seinem Beispiel. Sie klatschten sich gegenseitig ab. Ich halte mich da raus. Ich sehe mich in der Rolle des besonnenen Partners, der Lennys überschäumende Emotionen ausgleicht, ich gebe den Tonto zu seinem Lone Ranger, den Abbott zu seinem Costello, den Rowan zu seinem Martin, den Captain zu seiner Tenille. Irgendjemand muss ja für die Balance sorgen.

    Ich betrachtete die Eltern an der Außenlinie. Die Mütter bildeten kleine Gruppen. Sie sprachen über ihre Kinder, über das, was ihre Kinder konnten und erreicht hatten, und keine hörte der anderen richtig zu, weil anderer Leute Kinder langweilig sind. Die Väter boten mehr Abwechslung. Manche machten Videoaufnahmen. Manche feuerten ihre Jungs an. Manche setzten ihnen so zu, dass es den Kindern bestimmt nicht gut tat. Manche telefonierten die ganze Zeit mit dem Handy oder spielten ununterbrochen mit den verschiedensten elektronischen Geräten herum; sie schienen an einer Art Taucherkrankheit zu leiden, nachdem sie sich die ganze Woche in ihre Arbeit versenkt hatten.
    Warum war ich zur Polizei gegangen?
    Seit diesem furchtbaren Tag hat man mir unendlich oft gesagt, dass ich keine Schuld an dem trage, was geschehen ist. Irgendwie weiß ich auch, dass mein Vorgehen vermutlich nichts geändert hat. Höchstwahrscheinlich hatten die Entführer nie vor, Tara wieder zurückzugeben. Womöglich war sie sogar schon vor der ersten Lösegeldforderung tot. Vielleicht war es auch ein Unfall. Vielleicht sind sie einfach in Panik geraten, oder sie waren überreizt. Wer weiß das schon? Ich jedenfalls nicht.
    Und — verstehen Sie? — genau das ist der Haken an der Sache.
    Ich kann absolut nicht sicher sein, dass ich nicht dafür verantwortlich bin. Es gibt eine Grundregel der Naturwissenschaft: Jede Aktion erzeugt eine Reaktion.
    Ich träume nicht von Tara — oder falls ich es tue, sind die Götter offenbar so großmütig, mir die Erinnerung an diese Träume zu ersparen. Aber da erweise ich ihnen wohl zu viel Ehre. Lassen Sie es mich anders ausdrücken. Ich träume nicht direkt von Tara, aber ich träume von dem weißen Lieferwagen mit dem gefälschten Kennzeichen und den gestohlenen Magnetschildern. In diesen Träumen höre ich ein Geräusch, wenn auch nur sehr leise, von dem ich meine, dass es sich um Babygeschrei handelt. Ich
weiß also, dass Tara in dem Lieferwagen ist, aber in den Träumen gehe ich nicht auf diese Schreie zu. Meine Beine sind tief im Schlamm des Albtraums versunken. Ich kann mich nicht bewegen. Wenn ich endlich aufwache, quälen mich nahe liegende Gedanken. War Tara wirklich da? Und, wichtiger noch: Hätte ich sie retten können, wenn ich mutiger gewesen wäre?
    Der Schiedsrichter, ein schlaksiger, meist freundlich lächelnder Jugendlicher von der High School, blies in seine Trillerpfeife und schwenkte die Arme über dem Kopf. Das Spiel war zu Ende. Lenny rief: »Hey, yeah!« Die Achtjährigen sahen sich verwirrt an. Einer fragte seinen Mannschaftskameraden: »Wer hat gewonnen?« , und der zuckte die Achseln. Sie stellten sich in eine Reihe und schüttelten einander die Hände.
    Cheryl erhob sich und klopfte mir auf die Schulter. »Toller Sieg, Trainer.«
    »Tja, das ist einzig und allein mein Verdienst«, sagte ich.
    Sie lächelte. Die Jungs strömten auf uns zu. Ich gratulierte ihnen mit einem stoischen Nicken. Craigs Mutter hatte fünfzig Mini-Donuts von Dunkin’ Donuts in einer Schachtel im Halloween-Design mitgebracht. Daves Mutter hatte Tetrapacks mit Yoo-Hoo, einer angeblichen Schokoladenmilch, die wie Kreide schmeckte. Ich steckte einen Mini-Donut in den Mund und verzichtete auf das Getränk zum Herunterspülen. Cheryl fragte: »Was für einer war das?«
    Ich zuckte die Achseln. »Gibt’s da Unterschiede?« Ich sah, wie sich die Eltern mit ihren Kinder beschäftigten, und fühlte mich außerordentlich fehl am Platz. Lenny kam zu mir.
    »Toller Sieg, was?«
    »Ja«, antwortete ich. »Wir sind die Größten.«
    Mit einer Geste bedeutete er mir, dass wir ein paar Schritte gehen sollten. Ich folgte ihm. Als wir außer Hörweite waren, sagte er: »Monicas Nachlass ist fast geregelt. Es kann nicht mehr lange dauern.«

    Ich sagte »Mhm«, weil es mich eigentlich nicht interessierte.
    »Außerdem ist dein Testament fertig. Du musst es nur noch unterschreiben.«
    Weder Monica noch ich hatten ein Testament gemacht. Immer wieder hatte Lenny

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