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Keine zweite Chance

Keine zweite Chance

Titel: Keine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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mich gedrängt. Ihr müsst schriftlich festlegen, wer euer Geld bekommt, hatte er uns ermahnt, wer eure Tochter erzieht, wer sich um eure Eltern kümmert, bla, bla, bla. Aber wir hatten nicht zugehört. Wir würden ewig leben. Testamente waren etwas für, na ja, für Tote.
    Unvermittelt wechselte Lenny das Thema. »Kommst du noch mit zu uns zum Kickern?«
    Kickern, das sei denen gesagt, denen es an Allgemeinbildung mangelt, ist das klassische Tischfußballspiel mit rotierenden Spielern an Stangen. »Ich bin doch schon Weltmeister«, erinnerte ich ihn.
    »Das war gestern.«
    »Kann man sich nicht mal ein paar Tage auf seinen Lorbeeren ausruhen? Ich muss diesen Triumph noch ein bisschen auskosten.«
    »Alles klar.« Lenny ging zu seiner Familie zurück. Ich beobachtete, wie seine Tochter Marianne ihn in die Enge trieb. Sie fuchtelte herum wie eine Verrückte. Lenny ließ die Schultern sinken, griff nach seinem Portemonnaie und zog einen Schein heraus. Marianne nahm ihn, küsste Lenny auf die Wange und rannte davon. Lenny sah ihr kopfschüttelnd nach. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht. Ich wandte mich ab.
    Das Schlimmste — oder soll ich sagen, das Beste? — ist, dass ich Hoffnung habe.
    Folgendes hatten wir in jener Nacht in Großvaters Hütte gefunden: den Leichnam meiner Schwester, Haare von Tara im Laufstall (durch einen DNA-Test eindeutig identifiziert) und den rosafarbenen Strampelanzug mit schwarzen Pinguinen.
    Und Folgendes hatten und haben wir bis jetzt nicht: das Lösegeld,
die Identität von Stacys Komplizen, so sie denn welche hatte — und Tara.
    Genau. Meine Tochter ist nie gefunden worden.
    Ich weiß, der Wald ist groß und gibt seine Geheimnisse nur ungern preis. Ein so kleines Grab war leicht zu verstecken. Ein Stein konnte darauf liegen. Ein Tier konnte es gefunden und den Inhalt noch tiefer ins Dickicht geschleppt haben. Es konnte meilenweit von Großvaters Hütte entfernt liegen. Es konnte ganz woanders liegen.
    Oder — aber diesen Gedanken versuchte ich für mich zu behalten — es gab gar kein Grab.
    Sehen Sie, es besteht Hoffnung. Wie der Kummer hält sich auch die Hoffnung versteckt, überfällt und verspottet einen — und lässt ihr Opfer einfach nicht los. Ich weiß nicht, wer von beiden der grausamere Begleiter ist.
    Polizei und FBI gehen davon aus, dass meine Schwester mit ein paar sehr finsteren Gestalten gemeinsame Sache gemacht hat. Wenn auch keiner so recht weiß, ob sie ursprünglich eine Entführung oder einen Raub geplant hatten, sind sich fast alle einig, dass jemand in Panik geraten ist. Vielleicht gingen die Eindringlinge davon aus, dass Monica und ich nicht zu Hause waren. Vielleicht haben sie gedacht, sie hätten es nur mit einem Babysitter zu tun. Egal, jedenfalls hat einer von ihnen, ob nun auf Drogen oder anderweitig überdreht, einen Schuss abgegeben. Dann hat noch jemand geschossen, so erklärt sich das Ergebnis des ballistischen Tests, wonach Monica und ich von Kugeln aus unterschiedlichen .38ern getroffen wurden. Danach haben sie das Baby entführt. Schließlich haben sie Stacy gelinkt und mit einer Überdosis Heroin umgebracht.
    Ich bleibe beim sie , weil die Behörden annehmen, dass Stacy mindestens zwei Komplizen hatte. Einen Profi und kühlen Planer, der wusste, wie man so etwas macht, und dafür sorgte, dass
Autokennzeichen zusammengeschweißt wurden und sie spurlos verschwinden konnten. Der andere Komplize war wohl der Panikbruder , wenn man so will, der, der auf uns geschossen und vermutlich Taras Tod auf dem Gewissen hatte.
    Andere glauben allerdings nicht an diese These. Sie meinen, dass es nur einen Komplizen gab — den kühl planenden Profi — und dass Stacy diejenige war, die in Panik geraten ist. Nach dieser Theorie hat sie als Erste geschossen, vermutlich auf mich, da ich mich nicht an irgendwelche Schüsse erinnern kann, und der Profi hat dann Monica umgebracht, um die Sache zu vertuschen. Diese These wird von einem der wenigen Hinweise gestützt, die wir nach der Nacht in der Hütte noch erhalten haben: Ein Drogenhändler hatte der Polizei im Zuge irgendeines abwegigen Deals aufgrund einer anderen Anklage erzählt, dass Stacy eine Woche vor der Entführung bei ihm eine Waffe gekauft hatte. Eine .38er. Für diese Theorie sprach außerdem, dass die einzigen nicht erklärbaren Fingerabdrücke am Tatort von Stacy stammten. Der kaltblütige Profi wäre vermutlich vorsichtig genug gewesen und hätte Handschuhe getragen. Der durchgeknallte Komplize wohl

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