Keine zweite Chance
sich Heshy noch mal genau an.« Sie wartete und ließ Wendy Zeit, genau das zu tun. Es hatte den gewünschten Effekt.
»Zuerst bringen wir den kleinen Jack um. Dann, zwei Tage später, ist Lila an der Reihe. Wenn Sie der Polizei von unserem netten Gespräch erzählen, bringen wir Jack, Lila und Darlene um. Alle drei, der Reihe nach. Und dann, wenn Sie ihre Kinder begraben haben — und jetzt hören Sie bitte gut zu, Wendy, weil das der Knackpunkt an der ganzen Sache ist –, müssen Sie trotzdem noch zahlen.«
Wendy bekam kein Wort heraus.
Lydia trank einen großen, koffeinhaltigen Schluck und stieß ein zufriedenes »Ahh« hervor. »Köst-lich«, verkündete sie und erhob sich von ihrem Hocker. »Mir hat unser kleiner Kaffeeklatsch richtig gut gefallen, Wendy. Wir sollten uns bald mal wieder treffen. Sagen wir bei Ihnen zu Hause, am Freitag dem Sechzehnten?«
Wendy sah zu Boden.
»Haben Sie mich verstanden?«
»Ja.«
»Was werden Sie tun?«
»Ich bezahle die Schulden«, sagte Wendy.
Lydia lächelte sie an. »Noch einmal, mein aufrichtigstes Beileid.«
Lydia verließ den Coffeeshop und atmete in der frischen Luft einmal tief durch. Sie sah sich um. Wendy Burnet hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Lydia winkte noch einmal kurz zum Abschied und trat zu Heshy. Er war fast zwei Meter groß. Sie gerade mal eins fünfundfünfzig. Er wog hundertfünfundzwanzig Kilo. Sie keine fünfzig. Er hatte einen Kopf wie ein verwachsener Kürbis. Ihre Züge sahen aus, als wären sie im Orient aus Porzellan modelliert worden.
»Probleme?«, erkundigte sich Heshy.
»Bitte«, sagte sie und winkte ab. »Auf zu gewinnbringenderen Unternehmungen. Hast du unseren Mann gefunden?«
»Ja.«
»Und das Paket ist schon raus?«
»Klar, Lydia.«
»Sehr gut.« Sie runzelte die Stirn, spürte ein leichtes Unbehagen.
»Was ist los?«, fragte er.
»Ich hab ein komisches Gefühl, sonst nichts.«
»Willst du aussteigen?«
Lydia lächelte ihm zu. »Nie im Leben, Pu Bär.«
»Was willst du dann?«
Sie überlegte. »Warten wir doch erst mal ab, wie Dr. Seidman reagiert.«
9
Jetzt ist Schluss mit dem Apfelsaft«, sagte Cheryl zu ihrem zweijährigen Sohn Conner.
Ich stand mit verschränkten Armen an der Seitenlinie. Es war etwas frisch, der typische feucht-frostige Herbst in New Jersey, also zog ich die Kapuze meines Sweatshirts über die Baseballmütze.
Außerdem trug ich eine Ray-Ban-Sonnenbrille. Sonnenbrille und Kapuze. Ich muss ausgesehen haben wie die Polizeiskizze des Una-Bombers.
Wir waren bei einem Fußballspiel für achtjährige Jungen. Lenny war Cheftrainer der Mannschaft. Er hatte einen Assistenten gesucht und mich wohl deshalb ausgewählt, weil ich der Einzige war, der noch weniger von Fußball verstand als er. Trotzdem gewann unsere Mannschaft. Ich glaube, es stand ungefähr dreiundachtzig zu zwei, aber ich bin mir nicht sicher.
»Warum darf ich keinen Saft mehr?«, fragte Conner.
»Weil du«, antwortete Cheryl mit mütterlicher Geduld, »von Apfelsaft Durchfall bekommst.«
»Wirklich?«
»Ja.«
Rechts von mir überschwemmte Lenny die Jungs mit einem beständigen Strom von Ermutigungen. »Du bist der Beste, Ricky.« — »Weiter so, Petey.« — »Das nenn ich einen Zweikampf, Davey.« Er hängte immer ein y ans Ende des Namens. Und falls Ihnen die Frage auf der Zunge liegt: Ja, das nervt. Einmal hat er mich vor lauter Begeisterung Marcy genannt. Einmal.
»Onkel Marc?«
Ich spürte ein Zupfen am Bein. Ich blickte auf den sechsundzwanzig Monate alten Conner hinab. »Was gibt’s, Kumpel?«
»Von Apfelsaft krieg ich Durchfall.«
»Gut zu wissen«, meinte ich.
»Onkel Marc?«
»Ja?«
Conner maß mich mit todernster Miene. »Durchfall«, sagte er, »find ich nicht gut.«
Ich sah Cheryl an. Sie unterdrückte ein Lächeln, aber ich erkannte auch die Besorgnis in ihrem Blick. Ich schaute wieder auf Conner hinab. »Kein schlechtes Lebensmotto, mein Junge.«
Conner nickte und freute sich über meine Antwort. Ich liebe ihn. Er bricht mir das Herz, baut mich aber gleichzeitig im selben Maße wieder auf. Sechsundzwanzig Monate. Zwei Monate älter als Tara. Ich beobachte seine Entwicklung mit Ehrfurcht und einer so heißen Sehnsucht, dass man damit einen Hochofen betreiben könnte.
Er wandte sich wieder seiner Mutter zu. Um Cheryl herum lagen die Ergebnisse der Ernte, die sie als Mutter-Packesel eingebracht hatte: Minute Maid -Saftkartons und Nutri Grain -Müsli-Riegel; Pampers Baby Dry -Windeln (also nicht
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