Keine zweite Chance
sitzt sie nicht im Gefängnis?«
»Ich bin nicht in alle Einzelheiten eingeweiht«, sagte Tickner.
»Was heißt das?«
»Die örtliche Polizei hat den Fall bearbeitet«, erläuterte Tickner. »Die zuständigen Beamten haben sich entschlossen, der Angelegenheit nicht weiter nachzugehen.«
Ich bin weder Polizist noch habe ich größere Psychologiekenntnisse,
aber selbst ich konnte sehen, dass Tickner etwas verschwieg. Ich sah Lenny an. Seine Miene war ausdruckslos, was ganz und gar nicht seine Art war. Tickner trat einen Schritt vom Bett zurück. Regan brach das aufkommende Schweigen. »Sie sagen, Sie haben sich Rachel immer noch verbunden gefühlt?«
»Die Frage haben Sie durch diese Formulierung selbst beantwortet«, sagte Lenny.
»Lieben Sie sie noch?«
Das konnte Lenny nicht unkommentiert durchgehen lassen. »Wollen Sie jetzt Beziehungstipps geben, Detective Regan? Was hat das mit der Tochter meines Mandanten zu tun?«
»Haben Sie bitte noch einen Moment Geduld.«
»Nein, Detective. Unsere Geduld ist am Ende. Ihre Fragen sind lächerlich.« Wieder legte ich Lenny die Hand auf die Schulter. Er sah mich an. »Sie wollen, dass du ja sagst, Marc.«
»Ich weiß.«
»Sie wollen Rachel als Motiv für den Mord an deiner Frau benutzen.«
»Das weiß ich auch«, sagte ich. Ich sah Regan an. Ich erinnerte mich an das Gefühl, als ich Rachel im Stop-n-Shop gesehen hatte.
»Denken Sie noch an sie?«, fragte Regan.
»Ja.«
»Denkt sie noch an Sie?«
Lenny gab sich nicht geschlagen. »Woher zum Teufel soll er denn das wissen?«
»Bob?« Zum ersten Mal sprach ich Regan mit seinem Vornamen an.
»Ja?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
Regan sprach jetzt leise, fast verschwörerisch. »Ich frage Sie noch mal: Haben Sie sich vor der Begegnung im Stop-n-Shop
mit Rachel Mills getroffen, seit Sie sich im College voneinander getrennt haben?«
»Herrgott noch mal«, knurrte Lenny.
»Nein.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja.«
»Keinerlei Kommunikation?«
»Sie haben sich nicht mal in der Mensa Zettel zugeschoben«, sagte Lenny. »Jetzt machen Sie weiter.«
Regan lehnte sich zurück. »Sie waren bei einer Privatdetektei in Newark und haben sich wegen einer CD-ROM erkundigt.«
»Ja.«
»Warum heute?«
»Ich kann Ihnen nicht folgen.«
»Ihre Frau ist seit anderthalb Jahren tot. Woher das plötzliche Interesse an der CD?«
»Ich habe sie gerade erst gefunden.«
»Wann?«
»Vorgestern. Sie war im Keller versteckt.«
»Sie haben also nicht gewusst, dass Monica einen Privatdetektiv beauftragt hat?«
Es dauerte einen Augenblick, bis ich die Frage beantwortete. Ich überlegte, was ich seit dem Tod meiner schönen Frau alles erfahren hatte. Sie war in psychiatrischer Behandlung gewesen. Sie hatte einen Privatdetektiv engagiert. Sie hatte das Ergebnis seiner Arbeit bei uns im Keller versteckt. Ich hatte von alledem nichts gewusst. Ich hatte über mein Leben nachgedacht, über die Liebe zu meiner Arbeit und den Wunsch, weiter reisen zu können. Natürlich hatte ich meine Tochter geliebt. Ich hatte auf Befehl gegurrt und ihre wunderbare Entwicklung bestaunt. Ich wollte sterben – und morden –, um sie zu schützen, aber wenn ich ganz ehrlich war, wusste ich, dass ich nicht all die Veränderungen
akzeptiert, die Opfer gebracht hatte, die ihre Geburt erfordert hatte.
Was war ich für ein Ehemann gewesen? Was für ein Vater?
»Marc?«
»Nein«, sagte ich leise. »Nein, ich habe nicht gewusst, dass sie einen Privatdetektiv beauftragt hat.«
»Haben Sie eine Ahnung, warum sie das getan haben könnte?«
Ich schüttelte den Kopf. Regan zog sich zurück. Tickner zog einen braunen Briefumschlag aus der Tasche.
»Was ist das?«, fragte Lenny.
»Der Inhalt der CD-ROM.« Wieder sah Tickner mich an. »Sie haben Rachel zwischendurch nicht gesehen, stimmt’s? Nur das eine Mal im Supermarkt?«
Ich sparte mir die Antwort.
Ohne weiteres Tamtam zog Tickner ein Foto aus dem Umschlag und reichte es mir. Lenny setzte die Halbbrille auf, die er zum Lesen brauchte, und sah mir über die Schulter. Er hob den Kopf ein wenig, um nach unten zu blicken. Es war ein Schwarz-Weiß-Bild. Es zeigte das Valley Hospital in Ridgewood. Am unteren Rand waren Datum und Uhrzeit angegeben. Das Foto war zwei Monate vor dem Überfall aufgenommen worden.
Lenny runzelte die Stirn. »Das Licht ist ziemlich gut, die Gesamtkomposition lässt allerdings ein bisschen zu wünschen übrig.«
Tickner ignorierte den Sarkasmus. »Sie arbeiten dort, nicht wahr, Dr.
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