Keine zweite Chance
fahre gerade den Harlem River Drive hoch. Sie müssen gut einen Kilometer vor mir sein.«
»Ich muss mit dir reden«, sagte ich.
»Hast du Tara gefunden?«
»Das war ein Bluff. Ich hab das Kind gesehen, das sie dabeihatten. Das war nicht meine Tochter.«
Sie schwieg.
»Rachel?«
»Mir geht’s nicht so gut, Marc.«
»Wie meinst du das?«
»Ich hab mächtig Prügel bezogen. Im Park. Ich komm irgendwie klar, aber ich brauche deine Hilfe.«
»Warte mal. Mein Wagen steht noch am Tatort. Mit was verfolgst du sie?«
»Ist dir der Lieferwagen von der Parkverwaltung am Circle aufgefallen?«
»Ja.«
»Den hab ich geklaut. Ist ’ne alte Kiste, es war kein Problem, den kurzzuschließen. Außerdem wird ihn bis morgen früh wohl niemand vermissen.«
»Die glauben, dass wir es waren, Rachel. Dass wir eine Affäre hatten oder so was. Auf der CD-ROM waren Fotos. Du stehst vor dem Krankenhaus, in dem ich arbeite.«
Statisches Handyrauschen.
»Rachel?«
»Wo bist du?«, fragte sie.
»Ich bin im New York Presbyterian Hospital.«
»Geht’s dir gut?«
»Ich bin ziemlich lädiert, aber sonst ist alles in Ordnung, ja.«
»Sind die Cops da?«
»Ja. Und das FBI. Ein Kerl namens Tickner. Kennst du ihn?«
Sie sprach leise. »Ja.« Dann fragte sie: »Was machen wir jetzt?«
»Wie meinst du das?«
»Soll ich sie weiter verfolgen? Oder willst du das Tickner und Regan überlassen?«
Ich wollte, dass sie zu mir kam. Ich wollte fragen, was das mit den Fotos und dem Anruf bei mir zu Hause auf sich hatte. »Ich weiß nicht, ob das noch eine Rolle spielt«, sagte ich. »Du hattest von Anfang an Recht. Die ganze Sache war ein Bluff. Sie müssen die Haare von einem anderen Kind genommen haben.«
Wieder statisches Rauschen.
»Was ist?«, fragte ich.
»Kennst du dich mit DNA-Tests aus?«, fragte sie.
»Nicht besonders.«
»Ich kann’s nicht genau erklären, aber die prüfen die DNA Schicht für Schicht. Man sieht dann, ob die Teile zusammenpassen. Es dauert mindestens vierundzwanzig Stunden, bis man mit einiger Sicherheit sagen kann, ob es wirklich übereinstimmt.«
»Na und?«
»Und daher habe ich gerade mit meinem Labor telefoniert. Die hatten erst acht Stunden Zeit. Aber dieses zweite Haarbüschel, das sie Edgar zugeschickt haben …«
»Was ist damit?«
»Bisher passen die Gene zu deinen.« Ich war nicht sicher, ob ich sie richtig verstanden hatte. Rachel stieß so etwas wie einen Seufzer aus. »Mit anderen Worten, sie haben nicht ausgeschlossen, dass du der Vater bist. Im Gegenteil.«
Mir wäre fast das Telefon aus der Hand gefallen. Zia hatte es gesehen und rückte etwas näher an mich heran. Wieder konzentrierte ich mich und versuchte, Arbeit und Privatleben zu trennen. Ich musste die Nachricht verarbeiten. Dann unter Berücksichtigung der neuen Datenlage das bisherige Ergebnis korrigieren. Ich überlegte, was ich tun konnte. Tickner und Regan würden mir nicht glauben. Sie würden mich nicht rauslassen. Vermutlich würden sie uns festnehmen. Wenn ich es ihnen sagte, könnte ich einerseits vielleicht meine Unschuld beweisen. Andererseits war der Beweis meiner Unschuld bedeutungslos.
War es möglich, dass meine Tochter noch lebte?
Das war jetzt die einzige Frage, die mich interessierte. Wenn ja, mussten wir auf unseren ursprünglichen Plan zurückgreifen. Auf die Behörden zu vertrauen – insbesondere mit ihrem neuen Verdacht –, brachte uns nicht weiter. Was war, wenn einer von ihnen, wie der Erpresserbrief behauptet hatte, ein Informant war? Im Augenblick wussten die, die das Geld hatten, nicht, dass Rachel ihnen auf den Fersen war. Aber was war, wenn die Cops und
das FBI davon erfuhren? Würden die Kidnapper in Panik fliehen und womöglich etwas Unüberlegtes tun?
Ich musste mir allerdings noch eine andere Frage stellen: Konnte ich Rachel noch trauen? Die Fotos hatten mich verunsichert. Ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte. Aber im Endeffekt hatte ich keine andere Wahl, als diese Zweifel als belanglose Störung abzutun. Ich musste mich ganz auf das eine Ziel konzentrieren: Tara. Wie standen die Chancen am besten, dass ich herausbekam, was wirklich mit ihr geschehen war?
»Wie schwer bist du verletzt?«, fragte ich.
»Wir schaffen das, Marc.«
»Dann bin ich auf dem Weg.«
Ich beendete das Gespräch und sah Zia an.
»Du musst mir helfen, hier rauszukommen.«
Tickner und Regan saßen in der Ärzte-Lounge am Ende des Korridors. »Lounge« war ein seltsamer Begriff für dieses zu hell
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