Keiner wie er (German Edition)
nicht alle Einzelheiten erzählt zu haben. Das hätte Mrs. King nur verwirrt. Sie – Tina - war ja auch konfus. Als wirklich wichtig erachtete sie nur eines: dass er sie liebte. Und das hatte er gesagt. Glaubhaft, nicht so dahin, was auch nicht zu ihm gepasst hätte. Tatsächlich entsprach dies keinem seiner Standardsätze.
Und hielt er sich nicht an ihre Forderungen? Sie hatte ihn gebeten, sich aus ihrem Leben fernzuhalten und er erfüllte ihr diesen Wunsch. Obwohl sie sich ungefähr vorstellen konnte, wie sehr es dem irren Prof in den Fingern juckte, nachzusehen, ob sie ja anständig aß und mit wie vielen Männern sie es neuerdings so trieb.
Tina bereute keinen der vielleicht einhundertachtzig Tage, die seit ihrem Abschied vergangen waren. Es ließ ihr Zeit, zu sich zu kommen, nachzudenken und endlich sicher zu sein. Das wäre ihr in seiner Gegenwart niemals gelungen. Schon früher musste sie die Erfahrung machen, dass man bestimmte Angelegenheiten besser allein bewältigte. Der Verlust ihres Babys gehörte dazu. Daniel hätte ihr nicht helfen können, auch wenn er das möglicherweise glaubte.
Ihm würde es egal gewesen sein. Gut vorstellbar, dass der alles wollte, nur kein Baby. Doch für Tina war es trotz aller widrigen Umstände ein Wunder und der Verlust demnach denkbar hart. Jedes Mal, wenn sie ihn ansah, führte ihr das sofort vor Augen, was sie verloren hatte. Und damit musste sie erst einmal umgehen lernen. Allein. Denn es gab niemanden, mit dem sie darüber sprechen konnte.
Nicht einmal ihre Mom. Lautes Wehgeschrei hätte ihr nämlich auch nicht weitergeholfen.
Noch am gleichen Abend setzte sie sich in den Flieger nach New York. Und erstaunlich wenige Stunden später, allerdings mitten in der Nacht, traf sie am J.F.K. ein. Sinnlos, heute noch etwas zu unternehmen.
Bevor sie in einem bequemen und so fremden Hotelbett einschlief, telefonierte sie mit ihrer Mutter. „Ich bin angekommen ...“
Zum ersten Mal teilte sie Derartiges mit. Ein weiteres Indiz, dass sich Veränderungen anbahnten.
Während sie einschlief, dachte Tina sich, dass es jedenfalls nicht die denkbar Schlechteste waren …
* * *
Der Morgen brachte jede Menge Aufregung mit sich.
Tina wollte die Reise in die Vergangenheit diesmal perfekt gestalten. Erwartungsgemäß fiel ihr das nicht sonderlich leicht. Am Ende entschied sie sich für das übliche Outfit. Schon, um gegen alle Niederlagen gewappnet zu sein. Denn was sie beabsichtigte, war ein kompletter Schuss ins Blaue.
Zwei Stunden später saß sie im Taxi und fuhr zurück ...
… in die Vergangenheit.
Wie blau der Schuss war, erkannte sie erst, als das Taxi wenige Meter vor dem Haus hielt.
Woher nahm sie eigentlich die Gewissheit, dass er bei dem Beruf genau jetzt zu Hause weilte?
Tina seufzte. Ehrlich, eine derart schlechte Recherche hatte sie selten zustande gebracht. Das musste wieder mit der Degeneration der Gehirnhälften zusammenhängen.
Als sie kurz darauf vor der vertrauten Haustür stand und zum ersten Mal seit jeher klopfte, tat dies noch etwas anderes und zwar verboten laut und schnell: ihr Herz.
Auch stellte sich der flüchtige, aber dennoch übermächtige Wunsch ein, sich im letzten Moment aus dem Staub zu machen. Nur blieb Tina leider nicht sehr viel Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Denn kurz darauf wurde die Tür geöffnet, was eine Frage schon einmal beantwortete:
Derzeit weilte er nicht in der Klinik ...
Wenn Mr. Grant Überraschung verspürte, verstand er es prächtig, die zu verbergen.
„Hi, Tina.“ Wie damals in der Klinik benahm er sich, als hätten sich die beiden in der vergangenen Woche zuletzt gesehen.
Ihr Lächeln hingegen fiel ein wenig angestrengt aus. „Hi, Jonathan.“
„Komm rein!“
Auf wackligen Knien folgte sie ihm ins Wohnzimmer. Alles wirkte unverändert, nichts deutete darauf hin, dass zwischen damals und heute zehn Jahre lagen.
„Was willst du trinken?“
„Nichts, danke.“
Mit bedauerndem Lächeln nahm er ihr gegenüber Platz. „Edith ist im Büro, du musst mit mir Vorlieb nehmen.“
Vage nickte sie, während sie ihn betrachtete und staunend erkannte, dass er sich kaum verändert hatte. Jonathan Grant musste inzwischen die Fünfzig weit hinter sich gelassen haben, doch nichts deutete darauf hin. Zehn Jahre, für Tina ein Äon, für Daniels Vater offenbar nur ein Wimpernschlag. Alles war wie immer: das dunkle Haar, die feinen, klugen und gütigen Züge, die intelligenten, dunklen Augen. Es fühlte sich an, als
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