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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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genauso ausgesehen. Wer konnte ahnen, daß sie sich im Laufe der Jahre
     zum dicken, groben Monster mausern würde? Ihre Augen waren von Fett verquollen und nicht mehr blau, sondern trübgrau. Ihre
     Haut war rauh und rot geworden, auf der Oberlippe wuchsen gar stachlige helle Barthaare. Wäresie nach einer Entbindung so aufgegangen – na schön, das war bei vielen so. Aber nein, sie hatte nie ein Kind geboren. Irgendwas
     war mit ihrer Gesundheit von Anfang an nicht in Ordnung, und deshalb blieben sie kinderlos. Auch das verdroß Golowkin natürlich,
     aber nicht sehr. Doch nun, im Alter, verlangte es ihn nach erhabener Liebe.
    In Moskau gestattete sich Golowkin selbstverständlich solche Freiheiten nicht einmal in Gedanken. Erst aus Angst vor seiner
     wachsamen Gattin, später aus Geiz und Vorsicht.
    Doch nun, zu Beginn des Sommers allein in der leeren Wohnung, verspürte er eine heiße, jugendliche Unruhe. Nachts fand er
     keinen Schlaf bei dem Gedanken, daß die Jahre verrannen und das Geld zu Ende ging.
    Das sommerlich herausgeputzte Moskau schillerte im Juni geradezu von Schönheiten aller Art. Auch grazilen, hellhäutigen, solchen,
     bei denen Golowkin seit seiner Jugend einen Kloß im Hals bekam.
    Als nüchterner, vernünftiger Mann hoffte Golowkin mit seinen sechsundfünfzig Jahren natürlich nicht auf reine, wahre Liebe.
     Aber wenigstens ein Abenteuer, eine Illusion von Liebe – hatte er das nicht verdient?
    In der Nähe seines Hauses befand sich ein gemütliches, ziemlich teures Café. Dorthin ging Golowkin in letzter Zeit häufig
     essen. Tagsüber war es fast leer, doch abends drang Musik aus der offenen Tür auf die Straße hinaus, und durch die leichten
     Vorhänge schimmerten verlockende, schlanke Silhouetten. Er hatte sich nie entschließen können, am Abend dort hineinzugehen
     – das verbot ihm seine alte, in Jahren erworbene Vorsicht. Aber nun hatte er nichts mehr zu verlieren.
    Glattrasiert, in einem teuren sandfarbenen Sommeranzug, die Glatze parfümiert, verließ Golowkin um neun Uhr abends das Haus
     und steuerte mit jugendlichem, federndem Gang auf das Café zu.
    Er entdeckte beinahe sofort, wonach er suchte. An einem Tisch saßen zwei schlanke Blondinen, nicht älter als zwanzig. Sie
     tranken Kaffee, rauchten und kicherten. Die eine hatte kurzes Haar wie ein Junge, der anderen fiel das platinblonde glatte
     Haar bis auf die Hüfte, und sie schüttelte es hin und wieder lässig.
    Golowkin setzte sich an den Nebentisch, beobachtete die Mädchen verstohlen und redete sich selbst ein, die beiden seien keine
     banalen Nutten, sondern anständige, kultivierte Studentinnen, die auf eine Tasse Kaffee gekommen waren.
    Die mit den langen Haaren warf Golowkin einen freundlichen, nicht uninteressierten Blick zu. Er rief die Serviererin heran
     und bestellte einen Krabbencocktail und einen leichten Weißwein.
    »Und bitte eine Flasche Sekt für den Tisch nebenan.«
    Die Serviererin nickte verstehend. Alles lief bestens. Nun sahen bereits beide Mädchen interessiert zu Golowkin. Als der Champagner
     auf ihrem Tisch stand, lächelten sie.
    »Setzen Sie sich doch zu uns!«
    Er bestellte für die beiden ebenfalls Krabbencocktail, außerdem Eis mit Schlagsahne (nur für die Mädchen, er selbst mochte
     nichts Süßes).
    Die Langhaarige stellte sich als Alissa vor, die andere als Marina. Golowkin küßte beiden die Hand.
    Die Mädchen waren tatsächlich Studentinnen, beide studierten an der Geisteswissenschaftlichen Universität und waren ins Café
     gekommen, um »nach einer Prüfung ein bißchen auszuspannen«.
    »Richtig, es ist ja Juni, Prüfungszeit«, erinnerte sich Golowkin.
    Sie erklärten, sie seien beide aus Moskau, lebten bei ihren Eltern und wollten Kunstwissenschaftlerinnen werden. Der derbe
     ukrainische Akzent der jungen Moskauerinnen irritierte ihn nicht, auch die Jargonausdrücke, mit der ihre Rededurchsetzt war, ignorierte er. Ihre blauen Augen, ihre weißen Zähnchen, ihr fröhliches Lachen machten ihn schwindlig und jagten
     ihm Schauer über den Rücken.
    Ich muß mich für eine entscheiden, dachte er, vom ersten Schluck Weißwein bereits angetrunken, schade, daß ich keinen Freund
     habe, mit dem ich dieses Fest teilen könnte.
    Nach dem Café willigten die beiden rasch ein, Golowkin nach Hause zu begleiten. Alle beide.
    Unterwegs kaufte er Obst, eine große Schachtel Pralinen, die teuersten Zigaretten und eine Flasche Sekt.
    Die Mädchen beobachteten aufmerksam, wie er die

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