Keiner wird weinen
voll von dieser verfluchten Firma, für die hier dauernd Anrufe kommen«, sagte Fjodor, der ihr
zärtlich Schultern und Rücken mit Seifenschaum einrieb. »Wie hieß sie doch gleich?«
»Star-Service.«
Seine Hände erstarrten für Sekunden. Vera strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Die grauen Augen waren ganz nah. Sie
entdeckte darin einen seltsamen, ganz neuen Ausdruck – irgendwie gehetzt oder bekümmert. Wasser rann Fjodor übers Gesicht,
und einen kurzen Moment kam es ihr vor, als weinte er beinahe. Er biß sich sogar auf die Unterlippe. Das wirkte ein bißchen
theatralisch, aber fiel einem so etwas auf, wenn man zu zweit nackt unter der Dusche stand?
»Was hast du?«
»Nichts … Gar nichts. Lassen wir das.« Er drehte das Wasser ab und rieb Vera behutsam mit dem Handtuch trocken.
»Wenn du mich weiter so verwöhnst, wird es dir irgendwann noch leid tun«, sagte sie lächelnd.
»Star-Service«, sagte er leise, wie zu sich selbst, und biß sich erneut auf die Lippe.
»Was ist los, Fjodor? Du hast den Namen dieser unglückseligen Firma schon hundertmal gehört. Warum reagierst du darauf plötzlich
so komisch?«
»Natürlich wußte ich, daß eure Nummer mal einer Firma gehört hat. Aber auf den Namen habe ich nie geachtet, da habe ich nicht
hingehört. Hätte ich dich bloß nicht danach gefragt! Nein! Besser, ich wüßte nicht, welche Firma …«
»Warum?« fragte Vera erstaunt.
»Reden wir nicht darüber. Ich kann nicht … Es tut zu weh.«
»Mein Gott, Fjodor, was ist los? Worüber willst du nicht reden? Warum tut das weh?«
»Nein, Vera. Achte nicht weiter darauf … Schluß, vorbei.«
»Wie du meinst.« Vera zuckte die Achseln. »Trinken wir erst mal Tee.«
Sie schaltete den Wasserkocher ein und ging sich anziehen.
Er ist wirklich komisch, dachte Vera, während sie sich das nasse Haar mit einer Massagebürste kämmte. Wir kommen nicht nur
aus verschiedenen Kinderstuben, wir kommen von verschiedenen Planeten … Sonja sind an ihm sogar Kriminellenmanieren aufgefallen.
Na ja, das Kind spielt Detektiv. Und ich, was spiele ich? Wenn wir zusammen sind, scheint alles wunderbar. Aber sobald wir
uns für ein paar Stunden trennen, verspüre ich einen unangenehmen Nachgeschmack, als hätte ich mich an etwas Leckerem, aber
sehr Ungesundem übergessen. Sodbrennen, ein widerlicher Geschmack im Mund … Will ich ihn eigentlich heiraten oder nicht? Will
ich wirklich immer mit ihm zusammen sein, ständig? Jeden Morgen neben ihm aufwachen? Ein Kind von ihm zur Welt bringen oder
sogar zwei? Genau das habe ich mir immer gewünscht, aber mit einem anderen, mit Stas. Mit dem schwachen, feigen Stas, der
sich selbst so vergöttert, daß ihm die Knie zittern, der mich wegen jedes hübschen Frätzchens fallenläßt,der zwei Söhne hat und nicht einmal weiß, wann sie Geburtstag feiern. Ich weiß es – er nicht.
Vera nahm einen luftigen langen Rock und eine cremefarbene ärmellose Bluse aus dem Schrank. Als sie den Gürtel schloß, stellte
sie freudig erstaunt fest, daß er locker an ihr hing, obwohl er noch vor kurzem ihre Taille fest umspannt hatte. Sie war in
diesen Tagen schlanker und schöner geworden. Sie hatte etwas ganz Neues an sich. Vielleicht, weil sie sich zum erstenmal wirklich
begehrt und geliebt fühlte? Weshalb also sollte sie auf dieses Glück verzichten? Für die vage Hoffnung, daß der liebe Stas
sich endlich zu ihr herabließ? Nein, die Hoffnung war längst passé, geblieben war nur Sehnsucht, Demütigung und Erschöpfung.
Sie schraubte ihr Lieblingsparfüm »Lulu« auf, betrachtete sich im großen Spiegel und spürte, daß sie sich wünschte, Stas könnte
sie jetzt sehen. Sie sah umwerfend aus. Noch nie hatte sie sich selbst so gefallen.
»Vera! Der Tee ist längst fertig!« rief Fjodor aus der Küche.
Er deckte den Tisch immer sehr schön, selbst für ein einfaches Teetrinken. Hauchdünne Scheiben eines süßlichen französischen
Käses fächerartig auf einem Teller angeordnet, in einem Korb englische Cracker, in einer Schale Konfitüre. Nur für sie gab
er sich solche Mühe. Und sie Undankbare … Wieder wirkte er sonderbar. Er wandte den Blick ab, seufzte.
»Fjodor, willst du mir nicht doch erklären, wieso dich der Name dieser blöden Firma plötzlich so aufregt?« fragte Vera und
nahm einen Schluck von dem starken süßen Tee.
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte er düster. »Ich weiß nicht, ob ich sie dir erzählen soll …«
»Na,
Weitere Kostenlose Bücher