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Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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reizvoll als
     heute der ordinäre Geruch nach Geld. An Schönheiten mangelte es nie. Doch die Mädchen mit den Beinen und dem Gesicht eines
     Sexidols verlangten selbst Bewunderung und Anbetung und waren ebenso launenhaft und verwöhnt wie Stas.
    Die Zeit verging, das Leben veränderte sich. Mitte der Neunziger ließ erhabene Poesie die Schönheiten kalt. Sie verlangten
     Pelze und Brillanten und Reisen auf die Kanaren.
    Stas war verblüfft, mit welcher Leichtigkeit er aufgehört hatte, Gedichte zu schreiben. Heutzutage konnte man sich weder Inspiration
     noch Traurigkeit erlauben. Um ein Sieger zu bleiben, mußte man Geld verdienen.
    Das erwies sich als schwierig, widerlich und äußerst prosaisch. Stas mußte ständig seinen Egoismus unterdrücken, sich mit
     kalten, zynischen Leuten abgeben, mehr noch – er war von ihnen abhängig. Der enorme Selbsterhaltungstrieb, Rettung vieler
     ausgeprägter Egoisten, half auch Stas. Er paßte sich an, lernte, ein anderer zu sein – aber nur äußerlich. Innerlich blieb
     er der verwöhnte, begabte, hypersensible Stas, den alle bewundern mußten.
    Und nun, da die Großmütter und Tanten nicht mehr lebten und seine Eltern alt und krank waren und nicht mehr die Kraft hatten,
     ihn wie früher zu bewundern, stellte Stasauf einmal fest, daß er außer der quasi als Reserve stets greifbaren Vera keinen einzigen Menschen hatte, der für ihn die
     innigen Gefühle hegte, an die er von klein auf gewöhnt war.
     
    Seine Frau schrie im Flur. Diese seine letzte Schönheit hatte außer Beinen, Brüsten, der Bissigkeit einer Bulldogge und einem
     Metzger-Papa in Kriwoi Rog absolut nichts vorzuweisen. Sie waren seit zwei Jahren verheiratet.
    Sie hatte Stas ausschließlich wegen des Wohnrechts in Moskau und der schönen Dreizimmerwohnung im Zentrum geheiratet. Von
     Liebe war nie die Rede gewesen. Er hatte sich wie immer eingeredet: Beine und Brüste sind ausreichend, es genügt, wenn sich
     auf der Straße jeder nach ihr umdreht. Im Gegensatz zu seinen früheren Frauen verstand Inna sich jedoch nicht zu kleiden und
     zu schminken. Sie besaß keinen Geschmack und kein Gefühl für das richtige Maß, wie eine Elster bevorzugte sie schreiend Schillerndes.
     Die dicke Schicht Make-up wirkte auf ihrem derben, breitknochigen Gesicht vulgär. Und dieser enorme Haß, diese gierigen, kalten
     Augen, diese brutale, hemmungslose Härte! Das schlimmste war, daß Inna in letzter Zeit häufig zur Flasche griff. Nichts war
     so widerwärtig wie eine betrunkene Frau.
    Stas stand abrupt auf, ohne Inna zu beachten, die ihr Telefonat beendet hatte und ihm etwas ins Gesicht schrie, ging ins Bad,
     schloß sich ein und stellte sich unter die Dusche.
    Vera war bei weitem kein Sexidol, nach ihr drehte sich auf der Straße kein Mann um. Vor fünfzehn Jahren hatte sie ausgesehen
     wie ein gelber Plüschteddy, weich und rührend mit ihren kindlichen Grübchen auf den Wangen und ihrem strahlenden, bewundernden
     Lächeln. Er wußte selbst nicht, warum er sie ins Bett gezerrt hatte. Damals auf der Datscha hatte er nicht einmal daran gedacht,
     daß sie noch keine sechzehn war, ein halbes Kind, und noch zur Schule ging.
    Erst hinterher, als er feststellte, daß er ihr die Unschuld geraubt hatte, als er ihre Tränen sah und von ihr eins in die
     Fresse gekriegt hatte, war er zur Besinnung gekommen und furchtbar erschrocken. Wenn sie es nun Mama und Papa erzählte? Vor
     Schreck hatte er lauter Blödsinn gestammelt – aus Angst und Verwirrung, aus Mitleid mit sich und mit ihr. Und sie hatte alles
     für bare Münze genommen.
    Er hatte selbst nicht erwartet, daß diese Geschichte sich so lange hinziehen würde. Er hatte die unangenehme Situation geschickt
     in eine andere, weniger gefährliche Bahn gelenkt und eine lockere, zu nichts verpflichtende Affäre mit dem »Plüschteddy« angefangen.
     Aber er konnte sie doch schließlich nicht heiraten! Davon sprach sie auch nie. Sie gab sich damit zufrieden, daß er, der kostbare
     Stas, kam und ging, wann es ihm paßte.
    Er merkte gar nicht, wie er sich allmählich an sie gewöhnte, und wenn in ihrem Leben andere Männer auftauchten, erschrak er.
     Vera war sein Eigentum, sein Hinterland. Doch das konnte ja nicht ewig so weitergehen. Sie war dreißig. Sie wünschte sich
     eine normale Familie, ein Kind.
    Übrigens war sie inzwischen viel schöner geworden. Weich, angenehm mollig – natürlich kein Model, aber viele Männer mochten
     das. Eine blauäugige Blondine mit

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