Keinesfalls Liebe (German Edition)
ranging.
„Hallo?“
…
„Ah, guten Abend. Ist es wegen Carlos Fernandez?“
…
„Sie haben ihn? Oh, mein Gott! Wie geht es ihm, können wir ihn sprechen?“
…
„Wieso denn das? Will er etwa nicht mit uns sprechen?“
…
Man konnte förmlich dabei zusehen, wie das Blut aus Seans Gesicht wich. Er hörte zu, mindestens eine Minute lang. Celine und ich tauschten einen nervösen Blick.
„Ah … ah, ja“, hauchte Sean; er umklammerte so fest die Kante des Tisches, auf dem das Telefon stand, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
Mir wurde kotzübel. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen, heiß und feucht, schmerzend.
…
„Ich … ja, Sir.“ Lange hörte er einfach nur zu; Tränen rollten über seine Wangen. „D-danke für die Auskunft. J-ja, ich – ich danke Ihnen. H-haben Sie die Kontaktdaten seiner Eltern?“
…
„D-das ist gut, ja, okay. In Ordnung. Ich – wir danken Ihnen für Ihre Bemühungen.“
…
„Danke. Vielen Dank. Tschüss.“
Er legte auf.
„Was ist mit Carlos?“, fragte Celine heiser.
Ich saß regungslos da und wartete darauf, dass die Worte aus dem Brief Wahrheit wurden. Gewissheit. Realität. Ein eiskalter Schauer rieselte durch mich hindurch.
Seans Blick war nach innen gerichtet, als er antwortete. „Sie haben Carlos tot in den Bergen gefunden. Er hat sich erschossen.“
Geister der Vergangenheit
Carlos’ Tod war ein großer Schock. Celine wirkte, als hätte man ihr die Seele herausgerissen, und Sean zitterte und konnte sich nicht beruhigen.
Ich zitterte auch.
Aber ich war nicht traurig, weil ich wusste, was Carlos in den Selbstmord getrieben hatte. Ich wusste, dass es ihm jetzt besser ging und er bei der Liebe seines Lebens war. Ich selbst zuckte vor dem Gedanken, irgendwann Selbstmord zu begehen, zurück; das könnte ich niemals. Im Lauf des Tages, der von tiefer Traurigkeit überschattet wurde, sandte ich ab und zu ein Stoßgebet zum Himmel. Denn ich wollte sicher gehen, dass Carlos und Paul zueinanderfanden. Wer weiß, vielleicht ist das da oben gar nicht so einfach. Vielleicht brauchen die Toten Hilfe, die sehnsüchtig wartenden Seelenliebsten zu finden.
Erst am Ende des Tages war ich sicher, dass sie einander gefunden hatten. Es war wie ein kleines ‚Klick!‘ in mir, irgendwo in der Nähe meines Herzens. Ein kleiner angenehmer Schauer, der wie aus dem Nichts kam, ließ mich frösteln, als ich seit zwei Stunden schon wach im Bett lag, mit den Gedanken ununterbrochen bei Carlos, wie er da oben Paul suchte. Vielleicht formten sich die folgenden Gedanken in meinem Kopf, weil ich halb döste – vielleicht nicht. Vielleicht träumte ich schon – aber vielleicht auch nicht.
Danke. Ich bin angekommen.
Das Frösteln schwoll weiter an.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich den milchig weißen Vollmond an, der direkt vor meinem Fenster zu schweben schien. Es sah so aus, als müsste ich nur die Hand ausstrecken und ich könnte den Himmelskörper berühren, ihn pflücken wie einen reifen silbrigen Apfel. Irgendwie konnte ich nicht glauben, so etwas dermaßen real Wirkendes geträumt zu haben.
Ich setzte mich auf.
„Ich bin ja froh, dass alles gut ist“, sagte ich leise und tadelnd, „aber ihr beiden seid gruselig.“
Das Frösteln ebbte ab, bis es schließlich ganz verschwand. Eine plötzliche Windböe griff in einen von der Hitze verkrüppelten, spindeldürren Baum, der gerade noch so zu meinem Fenster heranreichte. Ich glaube, das war Carlos’ und Pauls Lachen. Denn in der nächsten Sekunde war es wieder ganz und gar, vollkommen, gänzlich windstill.
Mein Herz schlug schnell. Ich spürte das Pulsieren in jeder noch so winzigen Zelle meines leicht schwitzenden Körpers.
„Danke“, lachte ich, leise und mit raschem Atem. Ich fühlte mich so erschöpft wie nach einem Sprint.
Ich war unruhig, aber nicht, weil ich Angst hatte oder einen weiteren Besuch meiner Geisterfreunde erwartete – mir ging einfach viel durch den Kopf. Allem voran fragte ich mich, was es mit den Greys auf sich hatte.
Ich hörte, wie sich im Haus eine Tür öffnete, und dann ein männlich tiefes Seufzen.
Sean.
Auf einmal wusste ich, dass ich es ihm nun sagen konnte. Es war nicht fair, dass nur ich mir über seinen Tod keine Gedanken machen musste, zumindest was Carlos’ Motive betraf.
Ich konnte Sean erlösen, also würde ich es tun. Was war mit Celine? Es ihr zu sagen, würde bedeuten, auch Carlos’ geheuchelte Gefühle aufzudecken – und ich glaubte nicht, dass
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