Keinesfalls Liebe (German Edition)
ich bin mir sicher, dass wir falsch über Ryan gedacht haben“, sagte ich leise. „Er hätte niemals jemanden auf mich angesetzt. Niemals. Er ist nicht wie sein Pflegevater.“
Unbehagliche Stille senkte sich ein paar Momente über den Raum.
„Ich hab da eine Vermutung“, begann Sean. „Was wäre, wenn Grey und Jake Daniels Vater unter Druck setzen, weil Daniel irgendetwas gesehen oder gehört hat – wie du?“
„Es war eher anders herum“, erwiderte ich. „Daniels Vater war bei dem Gespräch mit Grey ziemlich energisch.“
Wieder schwiegen wir. In meinem Kopf rauschte es.
„Es passiert viel in letzter Zeit“, murmelte er, als ich mich wieder weitgehend beruhigt hatte.
„Ja“, stimmte ich ihm heiser zu. „Sean?“
„Hm?“
„Ich glaube, ich muss hier weg“, flüsterte ich und schniefte.
„Die Klausuren sind bald vorbei, und dann wieder Ferien“, sagte er sanft. „Du kannst wieder zu deinem Bruder.“
„Das meinte ich nicht“, flüsterte ich.
„Hm?“
„Ich glaube, ich muss für immer weg.“
Sean erstarrte. Eine Weile rührte er sich nicht, und ich bereute schon fast, ihm meine noch nicht so ganz fertige Entscheidung verraten zu haben. Denn noch war es nur eine Überlegung.
„Ist es wegen Grey?“, fragte Sean heiser.
„Nicht nur“, erwiderte ich leise. „Das mit Daniel. Ich glaube nicht, dass ich mich je an dieses Hin und Her gewöhnen kann. Das mit Ryan – Sean, ich bin ein Eindringling. Ich … habe mich hier wohlgefühlt, das hier ist mein zu Hause geworden. Aber ich spüre, dass es nicht gut für mich ist, hierzubleiben.“
„Du handelst vorschnell“, beeilte Sean sich zu sagen; er schob mich etwas von sich weg, damit er mich anschauen konnte, und nahm meine Hände fest in seine. „Ausgerechnet Daniel – willst du dich wirklich von einem unsensiblen Idioten vertreiben lassen?“
Ich murmelte etwas Sinnloses, dann machte ich einfach die Augen zu und kuschelte mich bei Sean an.
Es wurde ein langer, aber angenehm ruhiger Tag, und Ruhe hatte ich wirklich mehr als nötig, mal wieder. Celine erholte sich so langsam; Sean und ich versuchten alles, um sie abzulenken, von DVDs zu Brett- und Kartenspielen und Stadt-Land-Fluss. Sie schien recht glücklich, den Umständen entsprechend, und wir bereiteten zum ersten Mal seit Langem zu dritt das Abendessen vor. Carlos fehlte sehr am Tisch, als wir unsere Hamburger aßen – und es blieb noch mehr Gemüse übrig als sonst. Uns allen wurde von Minute zu Minute unwohler.
Irgendwann stand Celine auf, entschuldigte sich mit den Worten „Tut mir leid, ich muss mich hinlegen“ und schloss sich in ihrem Zimmer ein. Sean und mir verging der Hunger schließlich auch, und wir machten den Abwasch. Jetzt wäre mir ein freundschaftlicher, sensibel gestalteter Geisterbesuch gar nicht so unwillkommen gewesen, aber Carlos und Paul zeigten sich nicht.
Zwei Stunden später, um acht Uhr, klingelte das Festnetztelefon.
Sean ging ran.
„Hallo?“
…
Seine Augen wurden groß. „Oh, hallo Daniel.“
Ich erstarrte mitten im Skizzieren der Königsstraße in Stuttgart.
„Ähm, ja, Jo ist da. Moment.“
Ich sprang auf, sauste zu ihm und nahm ihm das Telefon aus der Hand. Nur einen Moment zögerte ich, weil ich die Wunde, die er mir zugefügt hatte, immer noch deutlich spürte. „Hallo!“ Meine Stimme zitterte vor Sehnsucht, und ich wusste, dass er es hören konnte.
„Hallo Jo“, sagte er heiter.
„Was gibt es denn?“
„Lust, mich in einen Club zu begleiten?“
Ich stutzte. „Oh. In einen Schwulenclub, meinst du?“
„Ja. Und, kommst du mit?“
„Ich … na ja … okay.“
„Was dagegen, wenn Ryan dabei ist?“
Ich schluckte hart. „Ähm – nein, das ist okay.“
„Wunderbar“, lachte er. „Wir warten draußen vor dem Wohnheim auf dich.“
„Bis gleich!“
Daniel legte auf.
Ich tat es ihm gleich, drehte mich um und schmollte, als ich Seans tadelnden Blick sah.
„Jo …“
„Ich weiß, was ich tue“, murmelte ich.
Er lächelte leicht. „Wenn du meinst. Aber sieh zu, dass du nicht allein bist. Mit niemandem.“
„Außer mit Daniel.“
Sean verdrehte die Augen.
„Tschüss!“, rief ich noch, bevor ich die Wohnung verließ.
Daniel und Ryan saßen schon im Auto. Ich setzte mich auf die Rückbank.
Als ich begrüßt wurde, klang Daniel immer noch gut gelaunt.
Ryan hingegen schnaubte und murmelte ein halbherziges „Hi“, was ich ebenso zurückhaltend erwiderte. Immer noch befand ich mich in einem großen inneren
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