Kellerwelt
Einen typischen Büroangestellten. Weißes Hemd, dunkle Krawatte.
Über der Lehne des Stuhls hing ein dunkles Sakko.
Er streckte seine Hand aus
und hielt die Kleine auf. Dann bedeutete er ihr mit einigen Gesten, still zu
sein und in das Büro zu schauen. Sie sah den Büroangestellten, zog erstaunt die
Augenbrauen in die Höhe und trat einen Schritt zurück, um ihm zuzunicken.
Er nahm sein Sturmgewehr von
der Schulter und legte auf den Angestellten an. Dann trat er durch die
zersplitterte Glasscheibe in das Büro und bewegte sich vorsichtig vorwärts,
wobei er allen Glasscherben auswich. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte er
allerdings auch heftig aufstampfen und jede Menge Geräusche erzeugen können,
denn der Angestellte schien mit äußerster Konzentration zu arbeiten. Der Mann
reagierte nicht einmal, als er ihn mit einem leisen „He!" ansprach. Erst
als er den Angestellten kurz mit der Mündung des G-36C antippte, reagierte
dieser und wandte sich um, einen Ausdruck der Überraschung auf dem Gesicht.
„ Oh, hallo", sagte der
Mann. „Ich habe sie überhaupt nicht gehört."
Der Mann erhob sich - zwar
langsam, jedoch nicht übertrieben vorsichtig. Dabei schaute ihm der Mann genau
in die Augen. Die Mündung der Waffe beachtete der Angestellte überhaupt nicht.
Unterdessen überlegte er, was er nun eigentlich mit diesem Burschen anstellen
wollte.
Er sagte: „Keine
Bewegung."
Der Mann legte den Kopf ein
wenig schräg, lächelte und wirkte, als habe er die Worte nicht verstanden. Noch
verrückter: Der Mann wirkte, als sei er sich der gesamten Situation nicht
bewusst. Dieser Kerl stand da, mit seinem Anzug und seiner Krawatte, als
existiere um ihn herum weder das Chaos des Kellers noch der Mann in Schwarz mit
seinem Sturmgewehr. Der Angestellte stand einfach nur da und lächelte.
Dann sagte der Kerl: „Kann
ich ihnen helfen?"
In diesem Augenblick schossen ihm eine ganze Hand voll bissiger Bemerkungen durch
den Kopf, doch die Freundlichkeit des Angestellten entwaffnete ihn völlig -
zumindest im gedanklichen Sinne. Und natürlich konnte ihm dieser Mann helfen,
denn er hatte jede Menge Fragen. Er hatte vermutlich mehr Fragen, als dieser
Mann Antworten bieten konnte. Da war nur eine leise Stimme, irgendwo in seinem
Hinterkopf, die eine Warnung murmelte und ihn veranlasste, das G-36C auch
weiterhin auf den Kopf des Angestellten zu richten.
Von den unzähligen Fragen,
die ihm in den Sinn kamen, stellte er die erstbeste, die er gerade fassen
konnte: „Wer bist du?"
„ Ich bin ein
Buchhalter", antwortete der Mann ohne zu zögern.
Aus dieser Antwort ergab
sich die nächste Frage: „Buchhalter? Was hat denn ein Buchhalter hier zu
suchen?"
„ Ich stecke gerade mitten im
Abschluss. Ich buche Belege, schließe die Konten ab, saldiere und bilanziere.
Und dafür steht mir nur begrenzte Zeit zur Verfügung. Deswegen müsste ich nun
mit dem Buchen fortfahren. Wenn ich also etwas für sie tun kann, dann sagen sie
es bitte jetzt."
Zu dem Gemurmel in seinem
Hinterkopf gesellte sich ein echtes Alarmsignal. Dieser Buchhalter war nicht
koscher. Ganz und gar nicht. Sein Gefühl riet ihm, den Kerl stehen zu lassen und
schnellstens mit der Kleinen zu verschwinden. Vielleicht sollte er dem Kerl
einfach ein Loch in den Kopf schießen, nur um auf Nummer Sicher zu gehen.
Doch das konnte er nicht
tun. Er konnte diesem netten, höflichen Menschen nichts antun. Im Gegenteil: Er
wäre sich wie ein Tölpel vorgekommen, hätte er diese angenehme und
aufschlussreiche Unterhaltung einfach abgebrochen. Außerdem würden ihm am Ende
wichtige Informationen entgehen, wenn er den Kerl nicht noch ein wenig
ausfragte.
„ Wenn du etwas für mich tun
möchtest, dann könntest du mir den Weg zum Ausgang erklären."
„ Der Ausgang? Aus dem Büro
hinaus, dann links. An der Kreuzung rechts. Dann wieder rechts. Letzte Tür auf
der linken Seite. Da ist das Treppenhaus, soweit ich mich erinnere."
„ Und das Treppenhaus führt
zum Ausgang?"
„ Der Ausgang führt zum
Treppenhaus. Die Treppen führen dann nach unten. Oder nach oben. So ist das mit
den Treppenhäusern. Dort sind dann andere Abteilungen. Natürlich haben die auch
ihre Ausgänge, aber dafür bin ich nicht zuständig. Ich arbeite hier in der
Buchhaltung."
Hätte er das Gewehr nicht
gehalten, dann hätte er die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Diese Frage
war ins Leere gelaufen. „Siehst du, das habe ich doch gleich gesagt",
schien die leise Stimme in seinem Hinterkopf zu
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