Kellerwelt
trinken. Dabei hatte er gezittert wie ein Presslufthammer und einen
Teil der Flasche in seinen Ausschnitt gekippt. Tatsächlich enthielt die Flasche
aber nichts als Wasser.
Er würde also weder
verhungern noch verdursten.
Eigentlich hätte ihn dieser
Gedanke beruhigen müssen, doch seine Überlegungen gingen in eine andere
Richtung: Wenn er mit Nahrung und Wasser versorgt wurde, dann musste er wohl
von einem längeren Aufenthalt hier drin ausgehen.
Seither war seine
Frustration mit beinahe jeder Tür gewachsen, die er geöffnet hatte. Dabei hätte
er sich eher wundern müssen, denn er hatte verrückte Dinge gefunden. In einem
Raum hatte er einen Esstisch gesehen. Dazu vier Stühle. Jemand hatte den Tisch
mit vier Blechnäpfen und vier Blechtassen gedeckt. In den Tassen fand er
Salzwasser. Das Geschirr war am Tisch fest gerostet.
Einen anderen Raum fand er
beinahe völlig leer vor. Nur an einer Wand hing ein Bilderrahmen. Darin ein
Passfoto. Jemand hatte das Glas des Bilderrahmens zerbrochen und das Passfoto
mit schwarzer Farbe unkenntlich gemacht.
In einem weiteren Raum hatte
jemand Wände, Decke und Boden mit Augen bemalt. Unzählige Comicaugen - Kreise
mit Punkten darin, immer zwei. Das Augenpaar direkt gegenüber der Tür, genau in
der Mitte der Wand, hatte geschielt.
Falls sich außer ihm noch
jemand hier aufhielt, dann hatte dieser Jemand offenbar ein massives
psychisches Problem.
Doch damit nicht genug: Zu
seinem Erschrecken lernte er auch noch die Wechselwirkung zwischen den
Nahrungsriegeln und Wasser kennen. Dieses Gemenge hatte sich in seinen
Eingeweiden in Raketentreibstoff verwandelt. Nun hatte er vor genau dem Problem
gestanden, über das er vor einiger Zeit nachgedacht hatte: Es gab keine Toilette!
Also hatte er improvisieren
müssen. In einem Raum hatte er zwischen einigen Trümmern mehrere Papierfetzen
gefunden. Die Überreste einer Tapete, dem Blümchenmuster nach zu urteilen.
Diese Fetzen hatte er benutzt, um sich zu reinigen, nachdem er sich erleichtert
hatte. Danach war er sofort weiter gestürmt, denn der Drang, von hier zu
verschwinden, hatte ihn wieder übermannt.
Diesmal hatte er sich jedoch
ein Grinsen nicht verkneifen können: Sie hatten ihn unter Drogen gesetzt, sie
hatten seine Identität geraubt und sie hatten ihn zu einer Laborratte
degradiert. Als Ausgleich dafür hatte er ihnen in den Keller geschissen. Das
hatten sie nun davon.
Doch selbstverständlich
hatte er damit keinen großen Sieg errungen. Er steckte auch weiterhin fest und
konnte nichts anderes tun, als um eine Ecke nach der anderen zu biegen und
einen Raum nach dem anderen zu kontrollieren.
Gerade hatte er wieder einen
Haufen Schutt vor sich. Darin erspähte er eine weiße Verpackung. Das war weder
ein Nahrungsriegel noch war es eine Wasserflasche. Als er das Päckchen aus dem
Dreck zog, erkannte er auf einer Seite ein rotes Kreuz. Er drückte das Päckchen
leicht. Verbandsmaterial? Ja, so fühlte es sich an. Er hoffte zwar, dieses Zeug
nicht zu brauchen, doch er würde das Päckchen besser erst öffnen, wenn es sich
nicht mehr vermeiden ließ. Er wollte das Verbandsmaterial nicht verschmutzen
und damit eine Infektion riskieren.
In seiner rechten Beintasche
hatte er die Riegel verstaut. Also ließ er das Päckchen in seine linke
Beintasche gleiten. Es passte haargenau, als sein die Tasche exakt zu diesem
Zweck geschneidert worden. Dann trat er wieder in den Korridor. Er wollte
weiter marschieren, doch der Kerl im roten Overall stand ihm im Weg.
Diesmal benötigte er ganze zwei
Augenblicke um zu verstehen, was er da vor sich sah. Dann noch einen
Augenblick, um die SIG-Sauer aus seinem Hosenbund zu ziehen und den Kerl ins
Visier zu nehmen.
Dabei fragte er sich, was er
da eigentlich tat. Der Griff nach der Waffe schien völlig automatisch
abzulaufen. Selbst wenn er es gewollt hätte - er hätte nichts dagegen tun
können. Er fühlte sich wie ein Zauberkünstler, der ein weißes Kaninchen aus dem
Hut ziehen wollte und stattdessen plötzlich einen Dildo in der Hand hielt.
Der Mann in Rot erschrak
mindestens ebenso sehr wie er. Der Kerl rief: „Scheiße!", fuhr auf dem
Absatz herum und verschwand hinter der nächsten Ecke.
Er stand noch gut zwei
Wimpernschläge lang dort, stierte die Waffe in seiner Hand blöde an und wusste
nicht so recht, was er nun tun sollte. Dann löste sich seine Starre und er
rannte los. Endlich hatte er jemanden gefunden, dem er einige Fragen stellen
konnte. Vielleicht konnte ihm der Kerl
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