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Kellerwelt

Kellerwelt

Titel: Kellerwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Peter Henning
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Daten in seinem
Kopf zu ordnen und sich umgehend auf den Weg zu machen, hatte er zunächst einen
gepflegten Koller bekommen. Als er danach wieder einen klaren Gedanken fassen
konnte, war er endlich losmarschiert.
    Immerhin wusste er nun
genau, in welche Richtung er sich wenden musste. Er kannte jede Abzweigung und
jede Kreuzung. Das Sichtgerät hatte diese Daten in seinem Kopf gespeichert.
Zumindest nahm er das an. Eine bessere Erklärung fiel ihm nicht ein.
    Dennoch war es ihm nicht
leicht gefallen, den Startpunkt seiner Zielperson zu finden. All der Dreck und
all die Verwahrlosung hatten ihn immer wieder in Rage gebracht und seine
Gedanken vernebelt. Deswegen hatte er mehr als einmal falsche Abzweigungen
genommen und sich plötzlich in einer Sackgasse wiedergefunden. Doch er hatte
sich selbst diszipliniert, indem er sich vorstellte, was er seiner Zielperson
antun würde, wenn er sie fand. Damit konnte er sich zumindest in Gedanken
abreagieren und seine Wut in Zaum halten.
    Er hatte auch über die Zeit nach
seinem Auftrag nachgedacht. Sobald er seine Zielperson entsorgt hatte, ging das
Leben weiter. Dann konnte er sich um die restlichen Dissidenten kümmern. Und
natürlich um die Kinder.
    Die Kinder würde er sich bis
zum Schluss aufheben. Sie hatten ihm besonders zugesetzt. Er würde sie erst
dann entsorgen, wenn er mit allen anderen fertig war. Dann konnte er die Sache
gemütlich angehen und den Spaß richtig auskosten.
    Doch nun galt es, sich auf
die naheliegenden Dinge zu konzentrieren. Er sah sich in dem Raum um. Hier
hatte sein Ziel vor nicht allzu langer Zeit diese Welt betreten. In diesem
kleinen, unscheinbaren Räumchen. Er ließ seinen Blick durch die Ecken des
Raumes wandern und suchte nach Hinweisen.
    Nichts. Die Zielperson hatte
keine Spuren hinterlassen. Keine Gegenstände, keine Unregelmäßigkeiten, nicht
einmal einen besonderen Geruch.
    In welche Richtung mochte
sich seine Zielperson wohl gewandt haben? Und wie groß war ihr Vorsprung
inzwischen? Er überlegte. In diesem Abschnitt gab es unzählige Kreuzungen und
Einmündungen. Seine Zielperson hatte jedoch sicherlich längst eine Passage zu
einem benachbarten Abschnitt aufgespürt. Während ein herkömmlicher Dissident in
diesen Korridoren umherirren konnte, bis er im Laufen einschlief, verfügte
seine Zielperson über die Fähigkeit, sich intuitiv zu orientieren - ebenso wie
er selbst. Die Zielperson benötigte hierfür nicht einmal ein Sichtgerät. Er
hatte keine Ahnung, woher er dies wusste. Er wusste es ganz einfach.
    Nein, er wusste es nicht.
    Er nahm es an. Er glaubte
daran.
    Tatsächlich wusste er nur
eines: Er musste sich beeilen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Wenn er
noch mehr Zeit verschwendete, dann würde das hier eine langwierige und
unerfreuliche Sache werden.
    Besser, er verzichtete
darauf, diesen Abschnitt zu durchkämmen. Besser, er begab sich auf direktem Weg
zum nächsten Abschnitt und startete dort eine sorgfältige Suche. Er setzte sich
in Bewegung.
    Obwohl er den Weg kannte,
kam er nicht so schnell voran, wie er es sich wünschte. Auch wenn er seine Zielperson
bereits im nächsten Abschnitt vermutete, so konnte sie dennoch hier irgendwo
auf ihn lauern. Deswegen ließ er Vorsicht walten. Er durfte die Gefahr, in
einen Hinterhalt zu laufen, keinesfalls unterschätzen. Diesen Fehler hatte er
schon einmal begangen. Zumindest glaubte er, sich daran zu erinnern. Deswegen
hielt er sein AKS-74U stets schussbereit und spähte vorsichtig um jede Ecke,
bevor er sie umrundete.
    Als er schließlich den
nächsten Abschnitt erreichte und die erste Tür in Sicht kam, kochte er wieder
vor Wut. Seine Zielperson hatte sich längst abgesetzt - und alles nur, weil er
zauderte. Alles nur, weil er Angst hatte, er könne versagen. Weil er sich
anstellte wie ein kleines Mädchen.
    Dabei hatte er es nur mit
einem Feigling zu tun. Einem Dissidenten, der sich zwar gerne gegen die Ordnung
auflehnte, doch im Kampf Mann gegen Mann jämmerlich versagen würde. Dessen war
er sich sicher.
    Wovor fürchtete er sich
also? Er war ein Entsorger. Niemand legte sich ungestraft mit ihm an. Er hatte eine
Aufgabe zu erfüllen und alle dazu notwendigen Instrumente erhalten. Also,
Schluss mit diesem Zögern!
    Er riss die Tür auf und sah
sich um. Schmutz und Unordnung auf dem Boden. Schutt und Trümmer. Außerdem lag
hier ein Stuhl, der eindeutig schon bessere Zeiten gesehen hatte. Der
Schutthaufen sah aus, als sei jemand darauf herumgeklettert. Als er

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