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Kellerwelt

Kellerwelt

Titel: Kellerwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Peter Henning
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oder umzubringen. Nichts und niemand. Weswegen sollte also
ausgerechnet jetzt jemand in der Halle lauern?
    Der Chef würde ihr eine
schöne Standpauke halten, wenn er hier wäre. Sie solle sich nicht so anstellen,
würde er sagen. Sie solle sich nicht von Streunern verrückt machen lassen.
Stattdessen solle sie jedem eins in die Fresse geben, der sie blöd anmacht.
    Sie fasste sich ein Herz und
öffnete die Tür. Vor ihr lag die Halle - und sonst nichts. Nichts und niemand.
Um zum Loch zu gelangen, musste sie über einige Trümmer hinweg steigen. Anderen
Trümmern musste sie ausweichen. Nach ihrem letzten Besuch schien ein Teil der
Decke nachgegeben zu haben. Zumindest erinnerte sie sich nicht an eine solche
Menge Betonbrocken auf dem Boden.
    Das Loch hatte sich nicht
verändert. Ein schwarzes Rechteck im Boden. Daneben lag ein Seil. Wenn ihre
Zielperson nicht auftauchte, dann konnte sie zumindest das Seil als Trophäe
mitbringen.
    Sie trat an das Loch heran
und lauschte. Dort unten hörte sie das leise Plätschern von Wasser. Sonst hörte
sie nichts. Der Drang, hier abzuwarten, hielt sie fest im Griff. Sie war also
rechtzeitig eingetroffen und hatte ihre Zielperson nicht verpasst. Das fand sie
prima, denn auf diese Weise blieb ihr noch ein wenig Zeit, um auszuruhen.
    Sie ließ sich neben dem Loch
nieder und benutzte ihren Rucksack als Kissen. Der letzte Kerl, den sie aus dem
Loch gezogen hatte, wäre vermutlich ausgerastet und hätte sie angeschrien, sie
solle von diesem Loch weggehen. Sie hatte damals nicht auf ihn gehört und sie
würde auch jetzt nicht auf ihn hören. Dort unten gab es nichts, was ihr etwas
anhaben konnte.
    Sie gähnte und schloss ihre
Augen. Wenn ihre Zielperson noch ein wenig bummelte, dann konnte sie vielleicht
ein Nickerchen machen. Und falls ihre Zielperson überhaupt nicht auftauchte,
dann würde sie sich richtig ausschlafen.

Kanalisation
     
    Weiter. Und immer weiter.
    Vom Regen in die Traufe. Von
den Katakomben in die Kanalisation. Ihm fiel keine bessere Bezeichnung für die
Tunnels ein, durch die er sich gerade schlängelte.
    Hier gab es noch weniger
Licht als in den Katakomben. Nur an Schlüsselstellen beleuchteten Arbeitslampen
die Tunnels. Der Rest lag im Dunkeln.
    Gleich nachdem er am Fuß der
Treppe aufgeschlagen war, hatte er sich wieder in Bewegung gesetzt. Keinen
Augenblick zu früh, denn schon bald hatte er Schritte und Rufe hinter sich
gehört. Wenn er die wenigen Worte, die er hatte aufschnappen können, richtig
deutete, dann folgten ihm einige Menschenfresser. Ihre Kameraden, die am Kopf
der Treppe zurückblieben, riefen ihnen nach, sie sollten schleunigst
zurückkommen. Doch seine Verfolger hatten auf diese Rufe lediglich mit
abfälligen Bemerkungen reagiert.
    Die Menschenfresser
bereiteten ihm im Augenblick kaum Kopfschmerzen. Es fiel ihm leicht, ihnen aus
dem Weg zu gehen. Sie veranstalteten eine Menge Lärm und redeten lautstark
miteinander. Einerseits machten sie sich damit gegenseitig Mut, andererseits
versuchten sie, ihn einzuschüchtern. Außerdem platschten sie immer wieder durch
das Wasser, das durch diese Tunnels floss. In den kleineren Tunnels floss
lediglich ein Rinnsal, in den größeren Röhren hingegen ein ständiger Strom.
Deswegen verfügten diese Röhren auch über Laufgänge an beiden Seiten.
    Kopfschmerzen bereitete ihm
die Erinnerung an die Worte des Fixers. Er hatte gesagt, viele seien in die
Kanalisation hinab gestiegen und dann gestorben. Und einer der Menschenfresser
hatte von irgendwelchen Dingen geredet, die hier unten lauerten. Bislang war
ihm zwar noch niemand begegnet, doch er hielt dennoch seine Pistole
schussbereit in der Hand.
    Der Gestank machte ihm
ebenfalls zu schaffen. Er sah zwar im spärlichen Licht der Arbeitsleuchten
keine Exkremente im Wasser oder am Boden, doch es stank erbärmlich. Wenn ihn
die Menschenfresser nicht erwischten, dann würde er vermutlich an diesem
Gestank zugrunde gehen.
    Und noch etwas machte ihm
Sorgen: Er hatte gerade vier Männer brutal zusammengeschlagen und einen Mann
erschossen - und es ließ ihn völlig kalt. Er empfand weder Mitleid noch Reue.
Er suchte noch nicht einmal nach einer Rechtfertigung. Dieser Mann hatte ihm im
Weg gestanden und er hatte ihn erschossen. Peng. So einfach war das. Doch er
fragte sich, wie diese Einstellung zu ihm passen sollte. Er war doch nur ein
ganz normaler Mann von der Straße.
    Bevor er sich weiter mit
diesem Gedanken befassen konnte, hallten hinter ihm Schreie durch die

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