Kellerwelt
Tunnels
und ließen ihn wie angewurzelt stehen bleiben. Im ersten Augenblick glaubte er,
zwischen den Menschenfressern sei Streit ausgebrochen. Beim zweiten Hinhören
kapierte er jedoch, dass etwas völlig anderes ablief.
Wer immer dort schrie,
durchlebte gerade die schlimmsten Momente seines Lebens. Als das Geschrei dann
verstummte, als habe man den Stecker eines Lautsprechers gezogen, wurde ihm
klar: Dieser Mensch hatte nicht nur die schlimmsten, sondern auch die letzten
Momente seines Lebens hinter sich gebracht.
Das löste seine Starre. Er
rannte los. Hinter ihm ertönten wieder Rufe. Diesmal versuchte jedoch niemand,
ihn einzuschüchtern. Es klang stattdessen nach Warnungen, die sich die
Kannibalen gegenseitig zuriefen.
Es interessierte ihn nicht.
Er wollte nur weg, hinaus aus diesen Tunneln. Ihn interessierte auch nicht,
weswegen der Menschenfresser geschrien hatte. Den Grund dafür wollte er nicht
kennen. Er hoffte nur, schnell eine Treppe zu finden - egal, ob diese nach oben
oder nach unten führte.
Dabei spielten ihm seine
Gefühle einen Streich: Zum ersten Mal, seit er in diesem Keller des Wahnsinns
aufgewacht war, empfand er nicht den Drang, so schnell wie möglich zu
verschwinden. Er spürte auch keine Furcht, erwischt zu werden. Es war nur die
Stimme der Vernunft, die ihm sagte: „Hast du gehört, wie dieser Knochenkauer
geschrien hat? Irgendein Ding hat diesen Kannibalen gerade massakriert. Wer
weiß, vielleicht ist dieses Ding nun hinter dir her. Daher wäre es nur
vernünftig, einen Ausweg zu suchen - auch wenn du es gerade verlockend findest,
dich hier zu verstecken. Ach ja, und bevor du übermütig wirst: Du solltest auch
nicht mit dem Gedanken spielen, die restlichen Menschenfresser selbst zu jagen.
Es würde dir zwar Spaß machen, doch erstens ist schon jemand anderes auf der
Jagd und zweitens … he, du weißt ja: Solche Gedanken passen nicht zu einem ganz
normalen Kerl von der Straße."
Er hätte diesen Monolog in
Gedanken noch weiter geführt, wäre er in diesem Moment nicht in eine Sackgasse
gelaufen. Direkt vor ihm schälte sich ein Metallgitter aus der Dunkelheit.
Damit hatte er nicht gerechnet.
Bevor er umkehrte, packte er
das Gitter und rüttelte daran. Mit etwas Glück hatte der Zahn der Zeit bereits
an dem Hindernis genagt und er konnte die Gitterstäbe herausbrechen. Doch das
Material zeigte sich unnachgiebig. Entweder war der allgemeine Verfall noch
nicht bis zu diesem Gitter vorgedrungen oder es war aus bestem Edelstahl
gefertigt. Rostfrei.
Ihm blieb nichts anderes
übrig, als sein Glück in der entgegengesetzten Richtung zu versuchen.
Als er dem Gitter gerade
seinen Rücken zuwandte, hörte er hinter sich ein Platschen. Es klang, als sei
etwas aus dem Wasser aufgetaucht und auf einen der beiden Laufgänge gesprungen.
Er fuhr herum wie der Blitz
und brachte die SIG-Sauer in Anschlag, doch er sah
nichts, worauf er hätte schießen können. Hinter dem Gitter lauerte nur die
Dunkelheit. Er zögerte einen Augenblick, doch es rührte sich nichts. Also trat
er den Rückweg bis zur nächsten Abzweigung an. Dort angekommen, wollte er sich
nach links wenden, denn er war von rechts gekommen. Von links ertönte jedoch
die Stimme eines Menschenfressers. Der Kannibale musste sich in unmittelbarer
Nähe befinden. Also wandte er sich nach rechts. Dort stieß er nach einigen
Schritten auf einen breiteren Tunnel. Er erinnerte sich, hier nach rechts
abgebogen zu sein - also war er von links gekommen. Nun bog er nach rechts ab,
um dem breiten Tunnel weiter zu folgen.
Gerade, als der unter einer
Leuchte hindurch schlüpfte, ertönte hinter ihm ein Ruf: „Hier isser ! Ich hab ihn!" Dann platschten Schritte heran.
Er erschrak zwar kurz, als er die Stimme des Kannibalen hörte, doch darüber
hinaus beeindruckte ihn das Erscheinen eines einzelnen Verfolgers nicht
sonderlich. Er würde den Menschenfresser mit einer schnellen Kampftechnik
ausschalten. Im Notfall, falls noch weitere Kannibalen nahten, würde er den
Mann erschießen.
Er wollte sich eben zu
seinem Verfolger umdrehen, als etwas aus dem Wasserlauf in der Mitte des
Tunnels schoss und auf dem Laufsteg auf der gegenüber liegenden Seite landete,
genau auf seiner Höhe. Er versuchte, dieses Ding mit einem Blick zu erfassen,
doch es wollte ihm nicht gelingen. Er erhaschte lediglich einen flüchtigen
Eindruck von einem schwarzen, glänzenden Körper. Mindestens so groß wie ein
Mensch. Bewegte sich auf vier Beinen. Und dann fauchte dieses
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