Kellerwelt
immer stiller
geworden." Ein Schulterzucken. „Jedenfalls haben wir dich nach fünf
Flaschen hierher gebracht. Du warst nach draußen gegangen und hattest in eine
Feuerstelle gepinkelt. Die Gruppe von Beschaffern und Instandsetzern, die sich
dort gerade aufwärmte, hast du gleich mit geduscht. Du fandest das saukomisch, doch die Leute waren ziemlich angepisst. Im wahrsten Sinne des
Wortes. Als du sie dann wegen Humorlosigkeit abknallen wolltest, musste ich
dich aus dem Verkehr ziehen. Wäre schade um die Munition gewesen."
Er packte Sachen in seinen
Rucksack. „Ich habe die Leute angepinkelt und wollte dann auch noch auf sie
schießen? Mann, das ist peinlich. Ich nehme an, die sind ziemlich sauer auf
mich."
Der Chef winkte ab. „Vergiss
es, Kleiner. Du bist ein Mann in Schwarz. Die sind nicht sauer. Die haben Angst
vor dir. Die dachten, du knallst sie tatsächlich ab. Und das hättest du auch
getan, wenn ich dir die Kanone nicht weggenommen hätte."
Während der Chef redete,
sammelte er seine letzten Habseligkeiten vom Boden und hielt schließlich die
SIG-Sauer in der Hand. „Vielleicht sollte ich das Ding einfach liegen
lassen", überlegte er laut, „bevor noch jemand zu Schaden kommt. Ich hatte
gestern ohnehin ein paar ziemlich merkwürdige Gedanken."
„ Ging es um Gewalt?"
Der Zwerg zog seine Augenbrauen fragend in die Höhe.
Er nickte.
Der Zwerg winkte ab. „Keine
Sorge, das ist völlig normal. Du solltest dich allmählich von der Vorstellung
verabschieden, irgendein völlig normaler Kerl zu sein. Die da draußen",
der Chef schwenkte einen Arm im Kreis, als wolle er die gesamte Siedlung mit
dieser Geste einschließen, „das sind ganz normale Leute. Familienväter,
Hausfrauen, Muttis, Lehrer, Dachdecker, Sekretärinnen - was weiß ich? Aber du,
du gehörst nicht zu diesem Volk. Du bist ein ganz anderes Kaliber. Du solltest
dich allmählich damit abfinden , Kleiner. Und jetzt
mach hin. Wir müssen los. Ich fühle schon wieder so ein Flattern zwischen
meinen Schulterblättern."
Er folgte den Chef nach
draußen. Bevor er durch die Tür schritt, warf er noch einen Rundblick in den
Raum. Er wollte keinesfalls etwas von seinen Habseligkeiten liegen lassen. Als
er sich danach wieder umdrehte und in den Korridor trat, lief er geradewegs
gegen eine Wand.
Zu seiner Überraschung gab
die Wand ein Stück nach und entpuppte sich als ein Berg von einem Menschen.
Arme wie der legendäre Seemann, Glatze, Ziegenbärtchen - dieser Kerl sah hart
aus. Richtig hart. Die grüne Kleidung verlieh ihm zusätzlich noch etwas
Militärisches.
„ Darf ich vorstellen?"
Der Chef trat neben den Riesen und reichte diesem gerade bis kurz über das
Knie. „Das hier ist das Panzerchen."
Er sah den Riesen bewundernd
an. „Prima. Wenn wir schon in eine Kriegszone ziehen, dann ist es gut, einen
zusätzlichen Kämpfer dabei zu haben. Wie bist du bewaffnet? Mit einem
Maschinengewehr? Nein, lass mich raten: Du benutzt eine Haubitze. Oder einen
Raketenwerfer."
Der Riese warf ihm einen
Blick zu, in dem Ärger und Fassungslosigkeit dicht beieinander lagen. „Ich
werte dies als einen Affront", sagte das Panzerchen dann mit einer Stimme,
die eher zu einem arroganten Butler gepasst hätte. „Wie die vorherrschende
Farbe meiner Kleidung zeigt, bin ich kein integraler Bestandteil der kämpfenden
Truppe. Stattdessen pflege ich, meine Aufgabe mit Block und Stift zu
erfüllen."
Er starrte das Panzerchen
einen Moment lang an und versuchte herauszufinden, was ihm dieser Brocken von
einem Kerl gerade hatte sagen wollen. Als sein Verstand an dieser Aufgabe
scheiterte, wandte er sich an den Chef. „Was meint er?"
Der Chef zuckte mit seinen
Schultern. „Die grünen Klamotten kennzeichnen unser Panzerchen als
Kartographen. Das bedeutet, er hat mit dem Kämpfen überhaupt nichts am Hut.
Wenn du ihm eine Waffe in die Hand drückst, dann schießt er sich vermutlich
selbst in den Bauch. Ich habe zwar schon etliche Male versucht, ihn vom
Gegenteil zu überzeugen, aber dann wird er immer ziemlich sauer, wie du gerade
selbst bemerkt hast. Doch auch wenn er nicht schießen kann, so ist er immer
noch ein sagenhaft guter Kartograph. Er arbeitet unglaublich präzise und
erfasst mehr Details als jeder andere Kartograph. Deswegen werden wir ihn
mitnehmen." Der Chef klopfte dem Panzerchen freundschaftlich gegen den
Oberschenkel. „Und falls er in der Kriegszone eine Kugel fängt, dann können wir
immer noch hinter seinem Kadaver in Deckung gehen. Dort haben
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