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Kellerwelt

Kellerwelt

Titel: Kellerwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Peter Henning
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Führung übernehmen." Der Zwerg wies in eine
Richtung. „Da geht es lang."

Sein wahres Gesicht
     
    Weiter. Und immer weiter.
Von Deckung zu Deckung.
    Die meiste Zeit über konnte
er sich nur in tiefster Gangart bewegen. Den Sack am Boden und das rechte Auge am
Taktikvisier des G-36C. Hätte er sich auf die Knie erhoben, dann wäre er sofort
Gefahr gelaufen, von einer verirrten Kugel getroffen zu werden. Die
Gelegenheit, einen der Schützen auszuschalten, bekam er so gut wie überhaupt
nicht mehr. Wenn er sie bekam, dann machte er kurzen Prozess. Dieses
sadistische Hochgefühl, das er im Kulissendorf empfunden hatte, wollte sich
jedoch nicht mehr einstellen.
    Später begegnete er mehreren
Klingenschwingern. Anfangs gelang es ihm, diese armen Teufel zu umgehen. Es war
ihm lieber, einen Umweg in Kauf zu nehmen, anstatt diese Menschen zu
massakrieren. Doch irgendwann krachte die Repetierflinte des Zwergen ein Stück
hinter ihm.
    „ ' Tschuldigung ",
rief der Chef und konnte sich das Lachen dabei offenbar nur mit Mühe verkneifen.
Dann krachte die Flinte noch zweimal. „Tut mir Leid, tut mir Leid - aber die
waren einfach zu nah dran."
    Er spielte mit dem Gedanken,
zum Chef zurück zu kriechen und dem Liliputaner ein zweites Loch in den Hintern
zu schießen. Dieser Drecksack legte es offenbar tatsächlich auf Ärger an. Doch
er blieb auf Kurs, denn ihm ging die Zeit aus. Er wusste, Von den
Klingenschwingern und von den Schützen drohte ihm kaum Gefahr. Hier gab es
nichts, womit er nicht fertig wurde. Weswegen sich der Chef in der Kriegszone
so schwer getan hatte, konnte er beim besten Willen nicht nachvollziehen.
Dennoch sollte er eigentlich überhaupt nicht hier drin sein. Er musste
schnellstens verschwinden, sonst würde ihn der Entsorger erwischen. Und der
Entsorger holte auf.
    Gerade in dem Augenblick, in
dem er seine Deckung aufgeben und das Risiko einer schnelleren Gangart eingehen
wollte, rief ihn der Chef zurück: „Vorne kürzer!"
    Er rollte auf die Seite und
blickte hinter sich. Dort sah er den Chef als Schemen im Nebel nach rechts
huschen und winken. Also änderte er seine Richtung und folgte dem Liliputaner,
bis er eine Mulde im Boden erreichte. Der Chef wartete bereits auf ihn. Die
Kleine und das Panzerchen folgten nur einen Moment später. Beide Zivilisten
schienen am Ende ihrer Kräfte. Die Kleine atmete schwer und dem Panzerchen lief
der Schweiß in Strömen über das Gesicht.
    „ Meine Fresse",
kicherte der Chef, „Du legst vielleicht ein Tempo vor. Sowas habe ich ja noch
nicht erlebt. Du Verrückter hättest es wohl auch alleine geschafft, die andere
Seite ohne einen Kratzer zu erreichen." Der Liliputaner wandte sich an die
beiden Zivilisten. „Habt Ihr mitbekommen, wie er diese Roboter erledigt hat?
Mann, ich bin mit diesen Maschinen seinerzeit überhaupt nicht klargekommen. Die
waren einfach zu schnell für mich. Aber unser Kumpel hier knallt die Roboter
ab, als wären es Kaugummiautomaten. Und uns will er erzählen, er sei nur ein
normaler Kerl von der Straße."
    Der Chef legte seinen
Rucksack ab und kramte daraus eine Wasserflasche hervor. „Aber jetzt müssen wir
kurz anhalten, sonst kommen die Kleine und das Panzerchen nicht mehr mit."
    Darüber konnte er nur seinen
Kopf schütteln. Was gingen ihn diese beiden an? „Scheiß drauf. Wir müssen
weiter, und zwar gleich. Oder spürst du nicht, was hier los ist?"
    Der Chef winkte ab. „Na klar
spüre ich das. Meinst du etwa, ich hätte keine Hummeln im Hintern? Aber das ist
noch lange kein Grund, Hals über Kopf die Flucht zu ergreifen. Der Entsorger
ist uns zwar auf den Fersen, aber er ist noch ein ganzes Stück entfernt. Wäre
er näher dran, dann würde es dir ganz anders gehen, das kannst du mir glauben.
Und selbst wenn er hier ankommt, muss er sich zuerst einmal bis zu diesem Punkt
durchkämpfen. Das dauert seine Zeit."
    Er fühlte sich bei dieser
Geschichte nicht wohl. Er wollte hier weg, und zwar schnell. Nur zu gerne hätte
er die beiden Zivilisten und den Zwergen einfach zurückgelassen. Doch er
wusste, am anderen Ende der Kriegszone würde die Ernüchterung auf ihn warten.
Dann brauchte er jemanden, der in der Lage war, sich intuitiv zu orientieren.
Aufzeichnungen konnten ebenfalls nicht schaden. Falls er in eine Sackgasse
rannte, würde er wenigstens wissen, in welche Richtung er sich stattdessen
wenden musste. Also blieb er einfach in der Mulde sitzen und nahm selbst einen
Schluck Wasser. Dabei fiel sein Blick auf das Panzerchen.

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