Kells Legende: Roman (German Edition)
metallenen Gang, und kein anderer als Vashell tauchte in der Tür auf. Er lächelte Anukis herzlich zu. »Schön zu sehen, dass es dir gut geht.«
»Wie bitte?«, fauchte sie ihn an. »Du schlägst mich erst bewusstlos und kommst dann her, um Galanterien mit mir auszutauschen? Fahr in dein Grab, Vashell, und genieße es, wenn die Würmer deine Augen fressen.«
Vashell scheuchte Perella mit einer Handbewegung aus der Zelle. Seine Miene verdüsterte sich, und erst jetzt sah Anukis den Kragen und die Kette, die er in der Hand hielt. Er trat vor, legte ihr den Kragen um den Hals und schlang dann die klirrende Kette zweimal um seine behandschuhte Rechte. »Komm mit. Wir machen einen Spaziergang.«
»Du willst mich nackt herumführen?«
»Häretiker haben keinerlei Würde«, antwortete er.
Anukis schnarrte wie eine Vachine, und ihre Reißzähne wurden länger, bis das Messing schimmerte. Vashell lachte nur und zog einmal kurz an der Kette, woraufhin Anukis taumelte. Sie richtete sich mühsam wieder auf, denn ihr zerschlagener und misshandelter Körper schmerzte. Vashell zerrte sie hinaus in den Flur, wo sich das Metallgitter des Bodens schmerzhaft in ihre nackten Füße grub.
Anukis’ Gesicht brannte vor Scham, als Vashell sie wie einen Hund herumführte und gelegentlich an der Kette zog, als würde er all das zu seiner eigenen Belustigung tun. Sie verließen den Kerker mit den Zellen und schlugen den Weg zum Zentrum des Ingenieurspalastes ein. Als sie aus dem Gefängnistrakt heraustraten, häufte sich die Zahl der Vachine, an denen sie vorbeikamen. Etliche Ingenieure und Kardinäle starrten Anukis angewidert an, einige sogar mit unverhülltem Hass. Kampflustig fletschten sie ihre Reißzähne. Anukis hielt den Kopf hoch erhoben und erwiderte herausfordernd den Blick jedes reinblütigen Vachine, fauchte sie an, hasserfüllt und voller Verachtung.
Im Zentrum des Palastes wölbte sich eine hohe Kuppeldecke aus Messing. Darunter befand sich ein riesiger, runder Tisch, der aus einem einzigen gewaltigen Quader Silberquarz geschlagen, perfekt geschliffen und auf Hochglanz poliert war. Mit feinsten Meißeln hatte man Tausende unterschiedlichster Szenen aus der Geschichte der Vachine eingearbeitet sowie die zahlreichen Siege, welche diese Rasse errungen hatte. Aufgereiht um dieses runde Symbol saßen die Ingenieure und ihre Untergebenen, die Ingenieurpriester, und arbeiteten an komplizierten Maschinen. Jeder einzelne Arbeitsplatz war mit zierlichen Werkzeugen und Maschinen übersät, von denen einige mit brennendem Öl angetrieben wurden, andere durch die Energie und den Puls des Silberquarzes selbst, der unter großen Opfern von den Albinos tief unter dem Schwarzspitz-Massiv geschürft wurde. Silberquarz war eine der drei berühmten Ingredienzen der Vachine. Es war der Taktgeber des Zeitmechanismus im Herzen eines Vachine, seine Seele.
Vashell blieb vor der riesigen, runden, silbrig glitzernden Bank stehen und grinste die anderen Ingenieure an, während er seine Beute mit sichtlichem Stolz vorführte. Seine Gefühle waren klar; es war ihm nicht gelungen, sie durch Liebe und Ehe zu kontrollieren, also beherrschte er sie jetzt durch Furcht und Gewalt. Das würde ihm wieder Respekt verschaffen, nachdem sein Ruf durch die Enthüllung von Anukis’ Unreinheit gelitten hatte. Denn er hatte recht gehabt: Sie hatte einen Narren aus ihm gemacht.
Die Ingenieure legten wie ein Mann – es handelte sich tatsächlich ausschließlich um Männer – die zierlichen Werkzeuge sorgfältig zur Seite und standen auf. Es waren fast dreihundert an der Zahl – der Kern der Gesellschaft der Vachine, die in den Künsten der Feinmechanik, Uhrmacherei und der Magie des Blutöls sehr gründlich ausgebildet waren. Anukis’ Blick glitt über die Männer, über kleine und große Ingenieure sowie über Ingenieurpriester. Sie alle trugen Schulterstücke mit den silbernen Insignien ihrer Religion, und alle warfen dieser Frau vor sich hasserfüllte Blicke zu, diesem Halbblut, der Tochter eines von ihnen, der einmal ein Großer gewesen war. Kradek-ka. Der Uhrwerker.
»Seht ihr?«, grollte Vashell und zog die Kette straff, so dass Anukis wegen seiner Größe gezwungen war, sich auf die Zehenspitzen zu stellen. Die Muskeln und Adern an ihrem Hals traten vor Anstrengung hervor. »Hier seht ihr diejenige, die Schande über mich gebracht hat! Jetzt begleitet sie mich als meine Sklavin, bis ich es für angemessen erachte, mich ihrer zu entledigen.«
Die
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