Kells Rache: Roman (German Edition)
sollen. Trotzdem, sie hatten einen Pakt geschlossen, eine symbiotische Vereinbarung. Die Vachine bekamen das Blut für ihre Raffinerien, und die Schnitter … nun, sie nahmen sich etwas anderes.
Graal ging an Tetrakall vorbei. Dagon Trelltongue wartete auf ihn. Der Mann war einst vertrauenswürdiger Berater von König Leanoric gewesen. Jetzt war er jemand, der das Volk von Falanor verraten hatte, um sein Leben zu retten, der seinen König und seine Königin ausgeliefert hatte. Er verbeugte sich tief vor dem General. Die Angst war ihm tief ins Gesicht geschnitten, als hätte man sie ihm mit einer Säure sorgfältig eingeätzt. Er war gealtert, seit Graal ihn das letzte Mal gesehen hatte. Sogar beträchtlich gealtert. Sein Haar war von grauen Strähnen durchzogen, und die Furcht hockte wie schwarze Kröten in seinen Augen. Sein Mund zitterte vor ständiger Angst.
»Ihr habt gesiegt«, sagte Dagon und verbeugte sich noch tiefer. Sein Tonfall war schwer zu deuten. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wozu Canker in der Lage waren, und er wollte auf keinen Fall ihr nächstes Opfer sein.
»Ja, und Ihr, Trelltongue, habt Eure Sache ebenfalls gut gemacht. Ihr habt …«, Graal lächelte, »mein guter Mann, Ihr habt Euer eigenes Volk abgeschlachtet. Wie fühlt sich das an, hm? Ich bitte Euch, erzählt es mir doch.« Graal trat dichter an den Mann heran. Er konnte Dagons Entsetzen riechen. Er streckte die Hand aus, strich ihm über das Haar und fuhr mit seinen langen Fingern über sein Kinn. »Ihr seid für die Leichtigkeit meines Erfolges verantwortlich, Ihr seid dafür verantwortlich, dass die Pläne perfekt umgesetzt worden sind, Ihr habt den Sturz von Falanor zu verantworten. Ich frage mich, kleiner Mensch, ob Ihr des Nachts in Eurem Bett gut schlafen könnt?«
Dagon hob ruckartig den Kopf. »Alkohol hilft«, sagte er rasch. Ein trotziger Funke glomm in seinen Augen auf, aber Graal hielt seinem Blick stand, und die Flamme erstarb, wurde durch kalte Furcht ersetzt. Durch das Wissen, dass er jeden wachen Tag mit der Schuld leben musste, eine ganze Nation verraten zu haben.
»Begleitet mich!«, fuhr Graal ihn an und führte Dagon durch die Empfangshalle, deren goldene und silberne Mosaike die Prüfungen des Gerannorkin zeigten. Sie gingen weiter durch etliche lange Kammern, die immer noch prac htvoll mit riesigen Eichentischen eingerichtet waren. Darauf standen Körbe mit Winterblumen aus den Südlichen Wäldern. Dann bog Graal nach rechts ab, folgte weiteren Korridoren bis zu einer riesigen Bibliothek. Er kannte den Weg sehr genau. Dagon hatte den Eindruck, als wäre Graal bereits hier gewesen, und zwar häufig.
Das Holz in der uralten Bibliothek schimmerte weich und roch nach Wachs und Politur. Der Duft von wohl gepflegten Büchern drang Dagon in die Nase, und Erkenntnis und Erinnerung brannten sich in seinen Verstand. Er hatte hier häufig mit König Leanoric gesessen, Kaffee und Branntwein getrunken und über Staatsangelegenheiten diskutiert. Jetzt kam ihm der Ort kalt und tot vor, ebenso kalt und tot wie der König war. Selbst wenn man nicht sagen konnte, dass Dagon Trelltongue unmittelbar für die Invasion von Falanor verantwortlich war – denn das wäre mit oder ohne seine Hilfe geschehen, mit oder ohne seinen Verrat von Taktik und militärischen Positionen –, so hatten doch sein Verrat und seine Informationen das Leben für General Graal und die Eiserne Armee erheblich leichter gemacht.
Dagon bemerkte einen Beutel in der Hand des Generals. Sie gingen in die Mitte der Bibliothek. Um sie herum erhoben sich gewaltige Bücherregale, und Graal deutete auf eine Reihe von niedrigen Lesesofas. Dagon kauerte sich auf den Rand einer Couch, als wollte er jeden Moment flüchten. Graal entlockte das ein Lächeln.
Er nahm einen kleinen Spiegel aus dem Beutel und legte ihn flach auf einen Tisch. Dann setzte er sich davor und starrte in das silbrige Glas. Er flüsterte leise drei magische Worte, und das Glas schwärzte sich. Funken von Gold und Gelb wirbelten darin, und unmittelbar danach materialisierte sich ein Gesicht in dem Glas. Graal lächelte. Es war seine Tochter, eine der Seelenfresserinnen.
»Tashmaniok.«
»Vater.«
»Habt ihr sie gefunden?«
»Wir haben sie gefunden.«
»Habt ihr sie getötet?«
»Nein, Vater.«
Graal verbarg seine Gereiztheit sehr gut. Nur ein Zucken seiner Wangenmuskeln verriet, dass er schlechte Nachrichten nicht sonderlich schätzte. »Was ist passiert?«
»Kell, der alte Krieger,
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