Kells Rache: Roman (German Edition)
jetzt waren sie noch nicht entdeckt worden. Wenn sie jetzt aufstanden und losliefen, würde das die Aufmerksamkeit der Canker sofort auf sie ziehen. Falls sie Glück hatten, verloren diese Bestien jedoch möglicherweise ihre Fährte.
»Sie gehen weiter durch die Schlucht und verschwinden«, flüsterte Saark.
Kell nickte.
In dem Moment bewegte sich Myriam, und ein kleiner Felsbrocken rollte den Hang hinab. Er sprang mehrmals auf, als er am Boden aufschlug, und ein hohles Klappern hallte durch die Steinwüste. Die Canker blieben unvermittelt stehen, drehten alle drei die Köpfe und starrten zum Versteck der Abenteurer hinauf.
»Gut gemacht, Miststück!«, zischte Saark.
Kell starrte derweil die Canker an. So etwas hatte er noch nie gesehen. Ihre Haut war beinahe durchscheinend und erlaubte einen Blick auf die blutroten Muskeln darunter, die von Uhrwerk durchsetzt waren. Alles war ein kleines bisschen pervertiert und deformiert, eben genau das Merkmal, das sie von den reinblütigen Vachine unterschied. Es war eine perverse Vermischung von Uhrwerktechnologie und Fleisch.
Ihre Augen waren blutrot und die Gesichter fast so lang wie Pferdeköpfe, aber viel breiter und größer. Die Reißzähne in ihren Mäulern schienen sich in völlig willkürlicher Richtung zu krümmen. Und sie bewegten sich auf allen vieren, wie riesige Löwen. Als sie sich umdrehten und den Hang heraufsprangen, blinzelten Kell und Saark verblüfft. Denn diese Canker hatten Hufe!
»Mutter voller Gnade!«, flüsterte Saark und zückte sein Rapier.
»Lauft!«, schrie Kell plötzlich und brach den Bann. Nienna und Myriam rannten los, rasten die Geröllhalde hinauf, dicht gefolgt von Saark und Kell. Kell zückte Ilanna und küsste ihre Schmetterlingsklingen. »Lass mich nicht im Stich«, murmelte er leise.
Ich bin für dich da, Kell. Ich bin da, um für dich zu töten. Du weißt, dass ich das immer sein werde.
Sie rannten weiter, so schnell sie konnten. Die Canker bewegten sich ebenfalls rasch, weit schneller als Menschen, und aus ihren Hufen schoben sich spitze Messingkrallen heraus, die Funken auf den Steinen schlugen. Myriam erreichte die schmale Öffnung zuerst und zog ihren Langbogen über den Kopf. Sie nockte einen Pfeil ein und spannte in einer flüssigen Bewegung die Sehne. Im nächsten Moment zischte der Pfeil durch die Dämmerung und traf einen Canker hoch oben in der Schulter. Die Bestie kreischte, laut und schrill. Es war ein perverses Geräusch, wie der Schrei eines sterbenden Pferdes.
Nienna rannte in den Spalt der Felswand. Er war etwa schulterbreit, und der Stein an den Flanken war grün und schleimig. Den Boden bedeckte eine dicke Moosschicht. Über ihren Köpfen, etwa vier Meter vom Boden entfernt, hatten sich etliche herabgestürzte Felsbrocken verkeilt und bildeten ein unregelmäßiges Dach.
»Kommt schon!«, schrie Nienna. Die Furcht verzerrte ihr Gesicht und ihre Stimme. Sie zückte ein Langmesser und blieb abwartend stehen, während sie zurückblickte.
Saark hatte mittlerweile Myriam erreicht und drehte sich um. Er war ohnehin beweglich und schnell, und durch den Biss der Albino-Vachine war er noch schneller geworden. Er hatte Kell weit hinter sich gelassen. Der mühte sich den Hang hinauf, diesmal jedoch arbeiteten seine Größe und Kraft gegen ihn. Kell keuchte, der Schweiß rann ihm in Strömen übers Gesicht und in seinen Bart. Aber er kletterte weiter, Ilanna in seiner mächtigen Faust, als der erste Canker bereits hinter ihm auftauchte. In letzter Sekunde brüllte Kell auf und wirbelte herum. Ilanna durchtrennte Fleisch und Uhrwerk und schleuderte den Canker den Hang hinab. Die Kreatur flog wild um sich schlagend an ihren rennenden Gefährten vorbei. Dann lief Kell ein paar Schritte weiter. Er war noch etwa zwanzig Meter von der Öffnung entfernt, aber die Canker waren schon zu nahe. Ein weiterer Pfeil zischte durch die Luft, dicht über Kells Schulter hinweg, und schlug in die Kehle eines Cankers ein. Die Bestie bäumte sich auf, stieß diesen merkwürdigen, kreischenden Pferdeschrei aus, ließ sich jedoch einfach auf den Boden fallen und setzte den Angriff fort. Kell holte mit der Axt aus, führte einen gewaltigen Überkopfschlag und traf den Canker, als der mit ausgestreckten, langen Messingkrallen nach seiner Kehle schlagen wollte. Ilanna durchtrennte Muskeln und Fleisch, zertrümmerte Knochen mit schrecklichem Krachen. Der Canker verdrehte sich, die Axt in sich verklemmt, rollte sich zur Seite und riss den
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