Kells Rache: Roman (German Edition)
der Brücke ab.
»Du siehst gut aus, Mädchen«, sagte er ruhig. Er erwiderte ihren Blick, der jetzt voller Gesundheit und Lebensfreude glänzte. Myriam lachte. Es klang wie das Murmeln eines Baches über Kieselsteine.
»Du siehst ja, was passiert ist«, sagte sie. Als sie redete, zeigten sich ihre winzigen Vachine-Reißzähne. Ihre Nase zuckte. Nienna stellte sich hinter Kell und Saark und betrachtete Myriam sichtlich verwirrt.
Myriam sah sie an. »Nienna.« Sie lächelte strahlend. »Es fühlt sich wundervoll an, Nienna … wirklich, ich bin wieder gesund, fühle mich auf dem Höhepunkt meiner körperlichen Fähigkeiten!«
»Geh zur Seite«, meinte Kell seufzend. »Mir ist klar, dass du nicht gekommen bist, um uns zu helfen, und ich habe nicht den Wunsch, gegen dich zu kämpfen.«
»Was denn?« Myriam klang plötzlich spöttisch. »Der große Vachine-Jäger will nicht gegen die schreckliche, böse Vachine-Frau kämpfen, die vor ihm steht? Ich dachte, du wärst Kell? Bist du nicht eine Legende?«
»Was willst du?«, fragte Saark leise.
»Ah, das Vachine-Baby hat auch eine Stimme!«
»Was?«, fuhr Saark sie an. Sein Gesicht war bleich und von Sorge verzerrt.
Myriam sah an Saark vorbei auf Kell, erwiderte seinen stählernen Blick. »Hat er es dir nicht gesagt? Hat dieser Dandy dir nicht sein großes Geheimnis verraten? In dieser kleinen Stadt wurde er gebissen, Kell. Ich kann es riechen! Er ist schon halb verwandelt, aber ohne das Uhrwerk ist es ein langsamer und sehr schmerzhafter Prozess.« Sie richtete ihren Blick wieder auf Saark. »Leidest du in letzter Zeit unter seltsamen Schmerzen, Junge? In deinen Fingern? In deinen Zähnen? Oder vielleicht sogar in deinem Herzen?«
»Halt die Klappe!«, erwiderte Saark gereizt.
»Oder was?«, gab Myriam grinsend zurück. »Zerfetzt du mir dann mit deinen Reißzähnen die Kehle? Komm schon, Saark, zeig deinen Freunden deine Zähne. Du kannst sie doch ohnehin nicht mehr verstecken, hab ich recht? Nur die Dunkelheit hier im Berg hat deine Schande bisher verborgen. Dabei gibt es keinerlei Grund, sich zu schämen, Saark! Gar keinen. Denn es ist wundervoll, es ist eine neue Geburt! Fühlst du nicht, wie deine Sinne singen? Hörst du nicht den Herzschlag des Berges?«
»Was willst du?«, fragte Kell gelassen, ohne Saark auch nur eines Blickes zu würdigen. Der Dandy trat einen Schritt von Kell weg. Die Furcht leuchtete förmlich auf seinem Gesicht.
»Ich soll euch eskortieren«, sagte Myriam und richtete ihren Blick wieder auf Kell. »Ich sollte euch eigentlich von den Soldaten übernehmen, aber ihr musstet ja vorher euren Spaß mit ihnen haben. Trotzdem. Ich habe gesagt, dass ihr ruhig mitkommen würdet.« Sie zwinkerte und leckte sich mit der Zunge über ihre Lippen und ihre Vachine-Reißzähne. Irgendwo in ihr, fast unhörbar, ertönte ein leises Klicken, als Zahnräder ineinandergriffen. »Um der alten Zeiten willen.«
»Geh zur Seite, Myriam«, wiederholte Kell und senkte den Kopf, als die Schlachtwut in ihm aufwallte und er immer größere Schwierigkeiten hatte, sie zu beherrschen. Er hörte die Schreie der Sterbenden und Verstümmelten, der Verbrannten und der Vergewaltigten von damals, aus den Tagen des Blutes. Er schmeckte ihr Blut in seinem Mund, in seinem Hals, er fraß ihr Fleisch zusammen mit den anderen, den Verdammten, den Besessenen. Das war nicht ich, sagte sich Kell. Doch er wusste es besser. Einhundert Seelen kreischten wütend aus der Vergangenheit und deuteten mit ihren kalten, toten Fingern auf ihn.
»Nein«, erwiderte Myriam, die immer noch nicht nach ihrer Waffe griff.
»Wie du willst«, meinte Kell und hob Ilanna … Im selben Moment ertönte ein lautes Rauschen, etwas Unsichtbares zischte mit unglaublicher Geschwindigkeit an ihm vorbei. Es krachte, und Kell wurde mit erstaunlicher Wucht zu Boden geschleudert. Im nächsten Moment stand er wieder auf den Beinen, bewegte sich so schnell wie ein Schemen, sein Mund war blutig und die Augen zu Schlitzen verengt. Er wirbelte zu Nienna und Saark herum. »Zurück!«, schrie er. »Zurück über die Brücke! Sie sind hier!«
»Das hier ist ein Ort der Blutöl-Magie«, meinte Myriam sanft und zückte ihr eigenes Kurzschwert. Es war aus Silber, und es glühte, zwar nur ein bisschen, aber genug, um anzudeuten, dass es keine normale Waffe aus einfachem Metall war. »Die Seelenfresser sind stark, Kell, unglaublich stark … sie sind stärker, als du es dir auch nur annähernd vorstellen
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