Keltengrab: Thriller (German Edition)
weg und trank seinen Kaffee aus. Ich bemerkte, dass er während seines Besuches nicht geraucht hatte.
»Es handelt sich um eine sehr alte Dame. Ich glaube nicht, dass sie eine Gefahr darstellt.«
»Seien Sie trotzdem vorsichtig.«
Sobald Gallagher gefahren war, packte ich meine Sachen zusammen: Handtasche, Schlüssel, Handy. Ich schaute kurz ins Büro und sagte Peggy Bescheid, dass ich heute nicht mehr kommen würde. Erst als ich in den Wagen stieg, bemerkte ich, dass irgendetwas meinen Ordnungssinn irritiert hatte. Ich gehöre zu den Menschen, die in einigen Dingen ordentlich sein können und in anderen nicht. Mein Schreibtisch ist ein Chaos, meine Wäscheschublade vorbildlich aufgeräumt. Aber ordentlich oder nicht, ich weiß immer, wo alles ist – oder sein sollte. In den letzten Minuten hatte ich etwas gesehen oder gehört, das nicht passte, einen Missklang, etwas, das am falschen Platz war. Aber obwohl ich darüber nachdachte, was dies sein könnte, tauchte nichts auf. Ohne Frage würde es mir wieder einfallen, wenn ich am wenigsten damit rechnete.
Ich holte Fran kurz nach drei ab. Es war früh dunkel geworden, und vor den Häusern in ihrer Siedlung gingen die elektrischen Weihnachtsbeleuchtungen an – Eiszapfen, die von den Dachrinnen hingen, pulsierende, bunte Lichterketten, die Fenster und Türen rahmten, Schneemänner und Santa Clause, die in Vorgärten strahlten.
Zwei Dinge fielen mir in dem Pflegeheim auf, die genauso waren, wie dort, wo mein Vater untergebracht war – die Zentralheizung produzierte ein Maximum an Wärme, und im Aufenthaltsraum lief ein Fernseher in voller Lautstärke. Zwar hatte mir Fran erzählt, viele ihrer Patienten seien schwerhörig oder litten an Hypothermie, dennoch dachte ich, dass es für die anderen die Hölle sein musste. Ein weiteres Merkmal von hier gab es in der Umgebung meines Vaters zum Glück nicht: ein allgegenwärtiger süßlicher Geruch, der entweder von ungenügender Küchenbelüftung oder von Inkontinenz der Patienten zeugte. Oder von beidem.
Durch den Aufenthaltsraum mit seinem plärrenden Fernseher und einer Hand voll alter Männer und Frauen, die völlig apathisch von der Hitze wirkten, gelangten wir in einen Flur mit Patientenzimmern auf der linken Seite und Schwesternstation, Bad, Toilette und Lagerräumen auf der rechten. Fran klopfte an die Zimmertür am Ende des Flurs, machte mir ein Zeichen zu warten und ging hinein. Ich hörte sie mit der Nonne reden, dann streckte sie den Kopf heraus und winkte mich ins Zimmer. »Ich habe sie nur aufgesetzt und ihr versichert, dass du eine Freundin von mir bist«, sagte sie.
Das Gesicht der alten Nonne hatte die Farbe von ungebackenem Teig, und ihr Haar war nichts weiter als ein paar Büschel weißer Wolle, die sich zufällig auf ihrem Kopf niedergelassen hatten. Sie trug ein hellblaues Flanellnachthemd und saß in ihre Kissen gestützt. Ihre knochigen Hände klammerten sich an den Rand der Bettdecke, unter der ihr Körper kaum eine sichtbare Wölbung erkennen ließ.
»Das ist meine Freundin Illaun …« Fran drehte sich zu mir um und deutete auf einen Stuhl neben dem Bett.
Das einzige weitere Möbelstück im Raum war ein Nachtkästchen, auf dem eine kleine, ovale Uhr stand. Fran hatte mir erzählt, dass Schwester Gabriel weder Fernseher noch Radio erlaubt waren, da beides sie erregte und sie dazu neigte, die Geräte anzuschreien. Ich hatte als kleines Geschenk eine purpurne Hyazinthe im Topf mitgebracht, die ich nun auf das Kästchen stellte.
»Illaun, das ist Schwester Gabriel. Ich lasse euch zwei jetzt in Ruhe reden.« Fran ging zur Tür und flüsterte mir von dort zu: »Wenn du mich brauchst, ich bin in der Schwesternstation.«
Ich setzte mich auf den Stuhl und blickte in Augen, die blasser waren als das ausgewaschene Blau ihres Nachthemds.
»Danke, dass Sie mit mir reden wollen, Schwester Gabriel.« Ein Dufthauch von der Hyazinthe wehte mich an und erinnerte mich an zu Hause.
Schwester Gabriel hob zur Begrüßung einen Finger und begann zu sprechen. Ich bemerkte, dass von ihren farblosen Lippen Linien in alle Richtungen ausstrahlten, die sich wie die Falten eines Akkordeons bewegten, als sich die alte Schwester bemühte, Worte zu formen. Ich verstand nichts und neigte den Kopf näher zu ihr.
Ihre Stimme gewann Kraft und drang als ein schnarrendes Krächzen aus ihrem Mund, während die Zunge bei jedem Wort hervorschnellte. Die Wirkung war verblüffend, aber noch verblüffender war, was sie sagte:
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