Kelwitts Stern
aufrollen und Geld scheffeln in einem Maßstab, in dem er bisher noch nie zu denken gewagt hatte.
Das war es. Gott Mammon selbst hatte ihn soeben auserwählt.
Und so schwierig konnte es ja nicht sein. Er musste eben diesen einen unfreundlichen Akt vollbringen, dem mageren jungen Außerirdischen die Spange wegzunehmen. Danach würde sein Leben nie wieder das sein, was es bis jetzt gewesen war. Dieser eine Schritt, und er hatte es endgültig geschafft.
Wie fast alle PC-Besitzer besaß auch Thomas Thieme eine CD-ROM mit dem Telefonverzeichnis von ganz Deutschland. An diesem Morgen, nach einer Nacht, die er hauptsächlich damit zugebracht hatte, seine Freundin zu trösten, suchte er auf dieser CD nach einem Teilnehmer namens Mattek, wohnhaft in Stuttgart. Das war eine Angelegenheit weniger Sekunden, bis Name, Adresse und Telefonnummer von »Wolfgang Mattek, Fabrikant« auf dem Bildschirm erschienen.
Das Suchprogramm besaß eine weitere nützliche Funktion, nämlich alle Teilnehmer aufzulisten, die in der gleichen Straße wohnten. Das dauerte noch einmal ein paar Augenblicke. Dann las Thomas Thieme: »Gudrun Lange, Grundschullehrerin«. »Das ist echt der Hammer«, meinte er kopfschüttelnd und griff nach dem Hörer, um die angegebene Nummer zu wählen.
Eine resolute Stimme meldete sich, die Stimme einer Frau, die ungezogenen kleinen Rangen Zucht und Ordnung beibringt. Er nannte einen falschen Namen und fragte, ob sie eine Freundin namens Eva-Maria Duggan habe, die in Thunder Bay, Ontario, lebe. Als sie das, etwas verwundert, bestätigte, behauptete er, dass er von ihr schöne Grüße ausrichten solle.
»Ich bin gestern aus Kanada zurückgekommen«, log er unverfroren, »wo ich Ihre Bekannte zufällig kennengelernt habe.«
»Ach, das ist ja nett«, meinte Frau Lange. Der Kasernenhofton schmolz ein bisschen. »Vielen Dank.«
Nun kam der endgültige Test. »Frau Duggan hat mir erzählt, Sie seien von einem Außerirdischen so erschreckt worden, dass Sie vom Fahrrad gefallen sind und sich den Arm gebrochen haben«, sagte er.
»Das hat sie Ihnen erzählt?«, wunderte sich Frau Lange.
»Erst nachdem ich ihr erzählt hatte, dass ich UFO-Phänomene untersuche.«
»Ach so.« Sie schien richtiggehend zu schmunzeln. »Also, ganz so war es nicht.«
»Sondern?«, fragte Thomas Thieme, gespannt auf des Rätsels Lösung.
Sie erzählte ihm, was vorgefallen war – der Sturz vom Rad, die Begegnung am Abend, die freche Bemerkung des Mädchens. Unerhört, pflichtete er ihr bei und bedankte sich artig. Wie es sich gehört gegenüber einer Lehrerin.
»Das ist ja ein Spaziergang«, sagte sich Thomas Thieme und erwog, Privatdetektiv zu werden anstatt Maler. Als Nächstes wählte er die Nummer der Familie Mattek.
»Mattek«, meldete sich eine leise Frauenstimme.
»Guten Tag, Frau Mattek«, sagte Thieme in locker-flockigem Tonfall, »Sie beherbergen doch einen Außerirdischen bei sich, nicht wahr?«
»Woher wissen Sie das?«, entfuhr es der Frau, dann hörte er noch ein »Oh, verdammt!« im Hintergrund widerhallen, ehe der Hörer aufgelegt wurde.
Ein beinahe beschwingtes Gefühl von Unwirklichkeit beschlich den Kunststudenten Thomas Thieme. So, als wäre er aus dem wirklichen Leben in ein Computerspiel hineingeraten oder in einen abstrusen Abenteuerfilm. Er durchdachte noch einmal alles und rief dann Rainer Weck in Hamburg an, um Bericht zu erstatten.
Dorothea erwachte davon, dass Unruhe im Zimmer herrschte. Sie schlug die Augen auf und starrte eine ganze Weile benommen auf eine mit Blümchen tapezierte Decke und auf Rüschenvorhänge am Fenster, ehe ihr wieder einfiel, wo sie war.
»Wir haben verpennt«, sagte Sabrina.
Dorothea drehte sich herum, stemmte sich hoch und stützte den Kopf auf den Arm. Sabrina, noch in Unterwäsche, wühlte emsig in ihren Taschen und Jacken.
»Was machst du da eigentlich?«, fragte Dorothea nach einer Weile.
»Wir dürfen nichts bei uns haben, auf dem unsere Namen stehen.« Auf ihrem Nachttisch lag ein kleines Häufchen aus Personalausweisen, Monatskarten, Krankenkassenkarten und so weiter.
»Und warum das, um alles in der Welt?«
»Erklär’ ich dir später.«
»Ich wusste, dass du das sagen würdest«, meinte Dorothea seufzend und schlug die Decke beiseite, um ins Bad zu gehen.
Sie bekamen noch ein Frühstück, obwohl sie eine halbe Stunde zu spät dran waren. Sabrina saß unruhig am Kaffeetisch und wirkte, als hätte sie am liebsten darauf verzichtet, sagte aber nichts dergleichen.
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